Katastrophenvorbeugung im Bauwesen
Katastrophenvorbeugung – Warum denn heute dieses Thema? Ganz einfach. Heute, am 13.10.2024, ist der Internationale Tag der Katastrophenvorbeugung (UNDRR). Und damit ein Tag, an dem wir darüber nachdenken sollten, wie die Folgen von schweren Stürmen, Dürreperioden, Erdbeben, Tsunamis oder anderen Krisen verringert werden können.
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Gebäude und Infrastrukturen mit uns kommunizieren, uns vor potenziellen Gefahren warnen und uns helfen, Katastrophen abzuwehren, bevor sie überhaupt eintreten. Diese Vision ist längst keine Science-Fiction mehr, sondern Realität dank des Einsatzes moderner Technologien in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Digitale gestützte Katastrophenvorbeugung könnte schon bald der unsichtbare Schutzschild sein, der unsere Städte sicherer macht. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen heute einige kurze Beispiele vorstellen, wie digitale Technologien im Bauwesen eingesetzt werden können, um Katastrophen frühzeitig zu verhindern.
Die unsichtbaren Wächter: Sensorik und IoT zur Katastrophenvorbeugung
Lassen Sie sich mal auf ein Gedankenspiel ein. Betrachten Sie Bauwerke mal als lebendige Organismen. Bauwerke benötigen “Nahrung” um zu funktionieren (Energie, Wasser etc.). Sie verrichten Arbeit, z.B. wehren Dämme Wasser ab. Bauwerke sind der Umwelt ausgesetzt und altern oder werden “krank”. Und genau wie unser Körper, der uns vor einer bevorstehenden Krankheit warnt, bevor sie sich manifestiert, können moderne Gebäude dank zielgerichteter Sensorik und dem Internet der Dinge (IoT) mögliche Gefahren erkennen, bevor sie zum Problem werden. Überall in einem Bauwerk – in Wänden, Fundamenten, Dächern – könnten winzige Sensoren installiert sein, die Daten in Echtzeit sammeln und analysieren.
Nehmen wir das Beispiel einer Brücke, die jeden Tag tausende von Fahrzeugen trägt. Sensoren in der Struktur könnten kontinuierlich die Belastung, Temperaturänderungen und Schwingungen überwachen. Wenn sie eine ungewöhnliche Belastung oder eine mikroskopische Rissbildung feststellen, senden sie sofort eine Warnung an die zuständigen Ingenieurinnen und Ingenieure. Die Reaktion könnte von einer sofortigen Inspektion bis hin zur Sperrung der Brücke reichen, um einen möglichen Einsturz zu verhindern.
Ein ausführlicherer Überblick über den Einsatz von Sensorik und IoT im Katastrophenschutz, insbesondere in Verbindung mit künstlicher Intelligenz, finden Sie in dem Beitrag Katastrophenschutz 4.0: Die Rolle von AI und Big Data.
BIM: Das digitale Gedächtnis der gebauten Umwelt
Durch Anwendung der BIM-Methode (Building Information Modeling) wird ein digitales Modell geschaffen, dass wie ein neuronale Netzwerk eines Bauwerks zu verstehen ist – es sammelt, speichert und vernetzt alle Informationen, die während des gesamten Lebenszyklus entstehen. Von der ersten Idee über die Planung und den Bau bis hin zur Nutzung und Wartung – Das BIM-Modell ist immer dabei und hält alles fest.
Stellen Sie sich vor, eine Architektin oder ein Architekt plant ein neues Wohngebäude. Mithilfe von BIM kann sie oder er nicht nur das Design gestalten, sondern auch die Effizienz und Sicherheit des Gebäudes simulieren. Wie werden die Bewohnerinnen und Bewohner im Falle eines Brandes oder eines Hochwassers das Gebäude verlassen? Welche Wege sind am sichersten, und wie kann man sie so gestalten, dass eine Massenpanik vermieden wird? Diese und andere Fragen können schon in der Planungsphase beantwortet werden, sodass das fertige Gebäude nicht nur schön und funktional, sondern auch sicher ist. Und die Erfahrungen, die während dieser Planung gemacht wurde, können unmittelbar in neue Projekte einfließen. Das wäre optimale Katastrophenvorbeugung.
Wenn Sie die BIM-Methode selbst nutzen möchten, finden Sie wertvolle Tipps im Beitrag 30 Tipps, um BIM optimal zu nutzen. Außerdem wird im Beitrag Building Information Modeling: Herausforderungen und Chancen detailliert beschrieben, wie die BIM-Methode sowohl Chancen als auch Herausforderungen im Bauwesen mit sich bringt.
Digitale Zwillinge: Spiegelwelten zur Katastrophenvorbeugung
Gehen wir von der BIM-Methode einen Schritt weiter. Stellen Sie sich vor, Sie könnten einen perfekten, digitalen Klon eines Gebäudes erstellen, in dem Sie jede Schraube, jedes Kabel und jeden Ziegelstein in Echtzeit simulieren und in der Realität überwachen könnten. Das ist die Idee hinter dem digitalen Zwilling. Dieses digitale Modell eines Bauwerks existiert parallel zur realen Welt und kann genutzt werden, um unterschiedliche Szenarien durchzuspielen.
Denken Sie an ein neues Hochhaus in einer Stadt, die regelmäßig von Stürmen und Überflutungen heimgesucht wird, wie z.B. Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals Saigon), Mumbai (ehemals Bombay) oder New Orleans. Der digitale Zwilling dieses Hochhauses könnte genutzt werden, um verschiedene Sturmereignisse zu simulieren – von leichtem Regen bis hin zu einem ausgewachsenen Hurrikan. Die Simulation könnte zeigen, wie das Gebäude unter unterschiedlichen Bedingungen reagiert: Welche Verglasungen halten stand? Welche Wände müssen ggf. verstärkt werden? Wo könnten Leckagen auftreten? Welche weiteren Evakuierungs- und Rettungsmöglichkeiten müssen geschaffen werden? So lassen sich potenzielle Schwachstellen frühzeitig erkennen und beheben, bevor die Bauarbeiten überhaupt beginnen. Und durch die Kombination mit Sensorik und IoT kann der digitale Zwilling ebenso wertvoll für den Betrieb des Bauwerks sein.
Dieser Ansatz fügt sich nahtlos in die größeren Entwicklungen ein, welche die Digitalisierung auf den Katastrophenschutz hat, wie im Beitrag Einfluss der Digitalisierung auf den Katastrophenschutz beschrieben.
Drohnen: Die fliegenden Inspektoren für die Katastrophenvorbeugung
Früher mussten Ingenieurinnen und Ingenieure Risiken eingehen, um schwer zugängliche Teile eines Bauwerks zu inspizieren (z.B. .durch Abseilen). Heute übernehmen Drohnen diese Aufgabe. Diese fliegenden Helfer können in schwindelerregende Höhen aufsteigen, um detaillierte Bilder und Videos zu machen, die den Zustand eines Bauwerks zeigen.
Im Rahmen der aktuellen Energiewende gibt es sehr relevante Beispiele, und zwar die Inspektion von Wind- oder Wasserkraftanlagen. Diese stehen oft in abgelegenen und schwer zugänglichen Gebieten. Mit Hilfe von Drohnen kann jede einzelne Windturbine aus nächster Nähe untersucht, Materialschäden an einer Staumauer aus nächster Nähe erfasst und weitere Daten gesammelt werden, welche für die Wartung und Reparatur der Anlagen notwendig sind. Diese Informationen können rechtzeitig genutzt werden, um Katastrophen wie das Versagen der Struktur einer Wasserkraftanlage oder einer Windturbine zu verhindern, was nicht nur gefährlich für die Energieversorgung ist (Thema Black Out), sondern auch extrem kostspielig wäre.
Das Potential von Drohnen ist in der Tat immens. Sie können zum Beispiel auch genutzt werden, um kontinuierlich von einem Ort Echtzeitdaten zu sammeln, um diese einem digitalen Modell zuzuführen. Das ermöglicht eine genaue Vorhersage einer Situation, wie zum Beispiel die Ausbreitung einer Überschwemmung oder eines Brandes.
Künstliche Intelligenz: Vorausschauende Analytiker in der Katastrophenvorbeugung
In einer Welt, in der täglich Milliarden von Datenpunkten generiert werden, kommt unweigerlich die Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Sie analysiert all diese Informationen, erkennt Muster und kann auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Vorhersagen treffen, die für den Menschen zum Teil kaum möglich wären.
Ein Beispiel in der Katastrophenvorbeugung ist der Einsatz von KI in Erdrutschgebieten. Durch die Vorgabe der Bodenbeschaffenheit, der Analyse historischer Daten, aktueller Wetterbedingungen wie auch Wetterprognosen kann die KI potenzielle Gefahrenzonen identifizieren, noch bevor erste Anzeichen für einen Erdrutsch sichtbar werden. Mit solchen Informationen können Gemeinden frühzeitig Maßnahmen ergreifen, wie etwa die Evakuierung von Anwohnerinnen und Anwohner oder die Stabilisierung eines Hanges, um eine Katastrophe zu verhindern.
Während KI viele Vorteile bietet, ist es wichtig, auch die potenziellen Risiken und Herausforderungen zu berücksichtigen, die mit ihrem Einsatz verbunden sind. Diese dunklen Seiten der KI werden im Beitrag Künstliche Intelligenz und ihre dunklen Seiten detailliert beschrieben.
Eine Diskussion darüber, wie KI und Big Data im Katastrophenschutz eingesetzt werden, finden Sie im Beitrag Katastrophenschutz 4.0: Die Rolle von KI und Big Data.
Und nun?
Die Zukunft der Bau- und Immobilienwirtschaft ist digital, und das Potenzial dieser Technologien zur Katastrophenvorbeugung ist immens. Es geht nicht mehr nur darum, Gebäude effizient zu planen, zu errichten und zu betreiben. Es geht zunehmend darum, sie intelligent und sicher zu machen. Sensoren, digitale Zwillinge, BIM, Drohnen und KI sind mehr als nur Werkzeuge. Sie sind unsere Verbündeten im Kampf gegen das Unvorhersehbare.
Die Herausforderung besteht darin, diese Technologien klug und verantwortungsvoll einzusetzen, um eine sicherere, widerstandsfähigere Welt zu schaffen. So könnten wir eines Tages in intelligenten Städten leben (Smart Cities), die uns nicht nur vor Gefahren warnen. Solche Smart Cities könnten auch selbst aktiv werden und daran arbeiten, Katastrophen zu verhindern.
Empfehlung: UN Sendai-Rahmenwerk zur Katastrophenvorsorge
Schlagwörter: Katastrophenschutz, Sensoren, IoT, BIM, Digitale Zwillinge, Katastrophenvorbeugung, Künstliche Intelligenz, Big Data, Krisenmanagement, Disaster Preparedness
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Katastrophenvorbeugung im Bauwesen [Blog-Beitrag]. 13.10.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar