Exoskelette der Zukunft: Trends und Visionen für die Baustelle

Aktualisiert am 24. September 2025

Die Zukunft für Exoskelette auf der Baustelle steht erst am Anfang, denn Trotz bestehender Herausforderungen (siehe in diesem Beitrag) schreitet die Entwicklung rasant voran. Während viele Pilotprojekte noch testen, wie sich die Technologie integrieren lässt, arbeiten Forschung und Industrie bereits an der nächsten Generation. Dieser Beitrag wirft einen Blick auf die Zukunft von Exoskeletten – von smarter Integration bis hin zu Brain-Computer-Interfaces.

Zukunft für Exoskelette auf der Baustelle

Digitale Integration: Exoskelette, KI und AR auf der Baustelle der Zukunft

Exoskelette auf der Baustelle werden zunehmend in ein digitales Gesamtsystem eingebunden. Die Kombination mit Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) ermöglicht z.B. realistische Simulationen und Trainings für den Exoskelett-Einsatz (u.a. im EU-Projekt BEEYONDERS, mehr dazu weiter unten). Arbeiternde werden in AR-Brillen Einblendungen zur optimalen Hebetechnik sehen, während das Exoskelett die Bewegung unterstützt. Auch künstliche Intelligenz (KI) spielt künftig eine Rolle: KI-Algorithmen werden Bewegungsdaten auswerten und die Unterstützung proaktiv anpassen, um Effizienz und Sicherheit weiter zu steigern. So werden Exoskelette noch intuitiver – quasi vorausschauende Assistenz, die aus den Gewohnheiten der Nutzenden lernt.

Materialtrends: Leichte, flexible Exoskelette der Zukunft

Ein klarer Trend ist die Entwicklung von leichteren Materialien und teilweise weichen Exoskeletten. Durch den verstärkten Einsatz von faserverstärkten Kunststoffen, leichten Metalllegierungen oder gar Textilien (Soft-Exos) soll das Gewicht reduziert werden. Flexible Strukturen – etwa textilbasierte Gurtexoskelette mit Zugbändern – werden die Bewegungsfreiheit weiter erhöhen. Bereits heute gibt es Modelle, die nur noch ca. 3-5 kg wiegen oder passive textile Exoskelette (z.B. von Hunic) mit unter 1 kg Zusatzgewicht. Beispiele sind das Darwing BS-02 oder Modelle von Hunic. Solche ultraleichten Systeme entlasten zwar etwas weniger, sind dafür aber sehr bequem. Zukünftig ist eine höhere Ergonomie zu erwarten, sodass Exoskelette immer weniger als Fremdkörper empfunden werden.

Energiesysteme und Autonomie: So wird das Exoskelett in der Zukunft smarter

In Zukunft werden Exoskelette auf der Baustelle voraussichtlich energieeffizienter und damit länger durchhalten. Verbesserungen in der Akku-Technologie oder Energiesparmodi könnten die Laufzeit verlängern. Aktuell werden Feststoffbatterien als vielversprechende Technologie für Elektroautos angesehen, da sie höhere Energiedichten, kürzere Ladezeiten und eine potenziell höhere Sicherheit im Vergleich zu aktuellen Lithium-Ionen-Batterien versprechen. Das wird im Bereich der Energieversorgung von Exoskeletten ebenso vorteilhaft sein.

Denkbar ist auch eine partielle Energierückgewinnung aus Bewegungen (Rekuperation) oder der Einsatz von hybriden Energiesystemen (Kombination aus Batterie und z.B. Druckluft-Kartuschen für Spitzenlasten). Außerdem könnten Exoskelette immer autonomer werden – im Sinne von selbstregulierend.

Künftig wird man vielleicht kaum noch manuelle Einstellungen vornehmen müssen, weil das System die Arbeitssituation automatisch erkennt und optimal unterstützt. Auch Stand-alone-Funktionen wie ein autonomer Balancemodus (der die Nutzenden stabilisiert) oder automatische Notabschaltungen bei Fehlbenutzung gehören zu den Entwicklungen, die Exoskelette sicherer und praktischer machen werden.

Passend zu diesem Beitrag

Personalisierte Exoskelette: Vom 3D-Scan bis zur Gedankenkontrolle

Die nächste Exoskelett-Generation wird sich noch besser an den individuellen Nutzer anpassen. Personalisierung könnte schon bei der Produktion beginnen, etwa durch Einbeziehung eines 3D-Scans des Körpers, um maßgeschneiderte Bauteile aus dem 3D-Drucker für perfekte Passform zu produzieren. Wie bei aktuellen Smartwatches könnten Sensoren während des Einsatzes Körperfunktionen wie z.B. Herzfrequenz, Sauerstoffgehalt im Blut oder auch Muskelzittern als Hinweise für die Ermüdung des Einzelnen in Echtzeit erfassen. Auf dieser Basis kann die Unterstützungsleistung dann dynamisch geregelt werden.

Somit würde jede Trägerin bzw. jeder Träger genau die Hilfe bekommen, die sie oder er im jeweiligen Moment braucht. Auch Updates über Software könnten das Verhalten an neue Aufgaben anpassen (Learning Exosuits). Nicht zuletzt kann die Forschung auch darauf abzielen, Exoskelette intuitiver steuerbar zu machen – möglicherweise durch Gedankenkontrolle oder sehr subtile Gestensteuerung. Ich kann Ihnen versichern, dass das keine ferne Zukunftvision ist.

Bereits vor mehr als 10 Jahren habe ich auf einer Tagung eine Kollegin aus Skandinavien getroffen, die in einem Projekt einen Roboterprototypen mit ihren Gedanken gesteuert hat. Die Steuerung geschieht dabei durch EEG (EEG steht für Elektroenzephalographie)), auch bekannt als Brain-Computer-Interface (BCI). Das ermöglicht die Interaktion zwischen dem Gehirn und externen Geräten, indem die elektrische Aktivität des Gehirns (gemessen durch das EEG) in Steuersignale umgewandelt wird.

Insgesamt steht die Mensch-Maschine-Kollaboration erst am Anfang einer neuen Ära: Exoskelette könnten in einigen Jahren so selbstverständlich werden wie heute ein Baustellenhelm – aber eben deutlich smarter. Wobei auch Helme smart geworden sind. Über den smarten Baustellenhelm meines Kollegen Jochen Teizer, den Smart Hat, hatte ich bereits im Beitrag Autonome Baumaschinen und Roboter: Sicherheit im Fokus geschrieben.

EU-Forschungsprojekte: Wie Europa die Exoskelette der Zukunft für die Baustelle gestaltet

Die Europäische Union fördert aktiv Forschung und Entwicklung für Exoskelette auf der Baustelle, oft als Teil größerer Initiativen für die Bauwirtschaft der Zukunft. Drei aus meiner Sicht wichtige EU-Projekte sind:

EXSKALLERATE (Interreg North Sea Region, 2020-2023)

Dieses Projekt hatte ich bereits mehrmals erwähnt. EXSKALLERATE zielte darauf ab, die Einführung von Exoskeletten in Bau und Fertigung – insbesondere bei KMU im Nordseeraum – zu beschleunigen (weitere Details und Projektberichte). Das Konsortium aus Forschung, Clustern und Firmen führte insgesamt 37 Pilot-Einsätze von Exoskeletten in Unternehmen durch.

Ergebnisse aus dem Vorhaben sind unter anderem: In rund 67 % der Firmen wurde eine Reduktion der Muskelbelastung festgestellt, was direkt mit weniger Muskel-Skelett-Beschwerden einhergeht. Eine Steigerung der Produktivität wurde jedoch im Schnitt nur um ~7 % beobachtet – Exoskelette sind also eher Präventions- als Leistungssteigerungs-Tools. Dennoch zogen fast zwei Drittel der Teilnehmenden den Kauf in Erwägung. EXSKALLERATE erstellte zudem Tools wie einen Exoskeleton Potential Assessment (ExoPA) und einen Kosten-Nutzen-Rechner für Unternehmen. Das Projekt lieferte auch Design-Empfehlungen an Hersteller (26 identifizierte Verbesserungen für die nächste Exo-Generation) und trug durch Workshops zur Vernetzung der Exoskelett-Community bei.

HumanTech (Horizon Europe, gestartet 2022)

Das HumanTech Projekt (Human-centered Technologies for a Safer and Greener European Construction) fokussiert sich auf menschenzentrierte Digitalisierung im Bau. Neben Robotik und Datenmanagement sind Exoskelette und Wearables ein Kernaspekt. HumanTech untersucht dabei, wie tragbare Technologien wie Exoskelette oder Smart Glasses den Bau sicherer und nachhaltiger machen können. Hier stehen auch Ausbildungsaspekte im Vordergrund – es sollen Schulungsmaterialien entstehen, um Bauarbeiter im Umgang mit Exoskeletten und Co. fit zu machen.

Mit über 9 Mio. € Förderung beteiligt es Partner aus ganz Europa. Hier stehen auch Ausbildungsaspekte im Vordergrund – es sollen Schulungsmaterialien entstehen, um Bauarbeiter im Umgang mit Exoskeletten und Co. fit zu machen. Zudem bildet das Projekt mit anderen EU-Projekten den Cluster Tech4EUconstruction, um Europas Technologieführerschaft im Bau zu stärken. Mitglieder in diesem Cluster sind u.a. die folgenden Vorhaben: RobetArmé, reconmatic, InCUBE, BIM2TWIN, HERON und BEEYONDERS (dazu gleich mehr). Alles hochspannende Projekte, die ich zum Teil auch von innen kenne.

BEEYONDERS (Horizon Europe, gestartet 2023)

BEEYONDERS steht für Breakthrough European tEchnologies Yielding cOnstruction sovereigNty, Diversity & Efficiency of ResourceS und ist ein Großprojekt, das die Baustelle der Zukunft adressiert siehe cordis.europa.eu). Es entwickelt vielfältige Technologien – von autonomen Baumaschinen über Drohnen bis zu Wearables und Exoskeletten. Und das in Kombination miteinander. Gerade das finde ich großartig! Ziel ist, Effizienz, Sicherheit und Arbeitsqualität im Bausektor zu verbessern. Exoskelette werden dabei insbesondere zur Förderung von Diversität und Inklusion gesehen: Sie sollen es erlauben, dass auch ältere oder körperlich weniger starke Personen schwere Bautätigkeiten ausführen könnene.

Im Projekt wird z.B. mit dem italienischen IIT an einem neuen Rücken-Exo (StreamEXO) gearbeitet (siehe build-up.ec.europa.eu). BEEYONDERS plant umfassende Demonstrationen der entwickelten Lösungen auf realen Baustellen auf dem Technology readiness level 6 (TRL 6: Demonstration in relevanter Einsatzumgebung). Zudem kooperiert es international (insb. mit Japan).

Und nun?

Exoskelette sind längst mehr als ein technisches Kuriosum – sie markieren einen kulturellen Wandel im Umgang mit körperlicher Arbeit. Doch wie bei jeder Innovation stellt sich die Frage: Wie viel Zukunft steckt wirklich drin? Die bisherigen Erkenntnisse zeigen für den einen oder die andere wahrscheinlich ein eher nüchternes Bild. Die Entlastung ist in der Tat messbar, die Produktivität dagegen bleibt weitgehend konstant. Für diejenigen, die eher mit dem Geldbeutel denken mag das ernüchternd klingen. Aber bei weiterer Betrachtung entpuppt sich das als DIE Stärke: Denn nicht Beschleunigung, sondern Nachhaltigkeit ist der wahre Gewinn! Und hier vor allem in der sozialen Dimension.

Die Vorstellung von Superhelden auf der Baustelle klingt in der Tat reizvoll – aber sie verkennt die Realität. Exoskelette sind keine Wunderwaffen, sondern intelligente Assistenzsysteme. Ihre Wirkung entfalten sie erst dann, wenn sie als Teil einer umfassenden Präventions- und Arbeitsschutzstrategie verstanden werden. Genau hier liegt die Herausforderung: Die Technologie muss eingebettet sein in eine neue Haltung gegenüber körperlicher Arbeit – eine, die Gesundheit, Langfristigkeit und Mitbestimmung betont. Auch hier entscheidet das Mindset – wie bei vielen Innovationen in der digitalen Transformation.

Das bedeutet: Die Akzeptanz in der Praxis wächst erst, wenn die Menschen ernsthaft mit einbezogen werden. Durch Ausprobieren, Mitentscheiden und vor allem mit realistischen Erwartungen. Ein Restrisiko wird trotzdem bleiben. Und das ist nicht technischer, sondern kultureller Natur. Wenn Exoskelette lediglich als technische Pflaster für strukturelle Überlastung herhalten sollen, dann ist ihr Potenzial verschenkt. Erst wenn Unternehmen, Politik und Gesellschaft bereit sind, auch die Arbeitsbedingungen zu hinterfragen und echte Innovationsräume zu schaffen, können Exoskelette ihr volles Potenzial entfalten.

Was also tun? Nun, wir sollten weiter beobachten, uns informieren und diskutieren, um schließlich die wahren Potentiale zu erkennen. Aber vor allem: Wir sollten mutig gestalten. Exoskelette sollten nicht als Antwort auf alles verstanden werden, was uns gerade Probleme bereitet: Fachkräftemangel, schlechtes gesellschaftliches Image der Branche, finanzielle Nöte uvm. Nein, Exoskelette sind mehr als Einladung zu verstehen, um neu über Arbeit nachzudenken. Über eine Baustelle, in der Technik nicht den Menschen ersetzt, sondern ihn schützt, stärkt und in den Mittelpunkt nimmt. Die nächsten Schritte sind keine Frage der Technik, sondern des Willens zur Veränderung. Und dazu gehört auch eine Verlagerung von der finanziellen zur sozialen Dimension in der Nachhaltigkeitsdebatte.

Noch mehr zum Thema Exoskelette im Bauwesen finden Sie in der Beitragsserie Exoskelette im Bauwesen: Von der Vision zur Realität.

Schlagwörter: Exoskelette, Bauwesen, digitale Transformation, Robotik, Zukunft der Arbeit, ergonomisches Arbeiten, Baustelle der Zukunft, tragbare Robotik, technische Assistenzsysteme, Innovation

Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2025). Exoskelette der Zukunft: Trends und Visionen für die Baustelle [Blog-Beitrag]. 31.07.2025. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Entdecken Sie die meistgelesenen Inhalte zur digitalen Transformation: Top-Beiträge zur Digitalisierung.