The Gentle Singularity: Wie KI die Bauwirtschaft neu definiert

In seinem vor drei Tagen veröffentlichten Blogbeitrag “The Gentle Singularity” (die sanfte Singularität) entfaltet OpenAI-CEO Sam Altman eine Vision, die gleichermaßen futuristisch wie beruhigend wirkt. Anders als viele Science-Fiction-Dystopien zeichnet Altman das Bild einer sanften, evolutionären KI-Transformation: Kein plötzlicher Übergang, keine KI-Apokalypse, sondern ein schrittweiser Wandel hin zu einer Welt, in der künstliche Intelligenz integraler Bestandteil unseres Alltags wird. Er beschreibt eine Zukunft, in der Intelligenz und Energie im Überfluss verfügbar sein werden und dass wir die Schwelle zur Singularität möglicherweise schon überschritten haben – ohne es bewusst wahrzunehmen.

Als Bauingenieur, Hochschullehrer und Forscher im Bereich der digitalen Transformation der Bauwirtschaft verfolge ich diese Entwicklungen mit großem Interesse. Denn aus dieser Vision von Altman können tiefgreifende Auswirkungen auf nahezu alle Branchen abgeleitet werden. NIcht zuletzt auf die Bau- und Immobilienwirtschaft. In diesem Beitrag möchte ich aufzeige, wie Altmans Vision auf unsere Branche übertragen werden kann und welche Konsequenzen sich daraus ergeben werden.

Gentle Singularity in der Bauwirtschaft: Planung auf Knopfdruck

Altmans Kernaussage, dass Intelligenz und Energie bald im Überfluss verfügbar sein könnten, hat weitreichende Auswirkungen auf die Bauplanung. Architektinnen und Architekten wie auch Ingenieurinnen und Ingenieure könnten zukünftig nur noch Zielvorgaben und Rahmenbedingungen definieren. Die eigentliche Ausarbeitung erfolgt dann durch darauf ausgerichtete KI-Systeme mit folgenden Auswirkungen:

  • Es wird ein generatives Design in Sekunden erstellt
  • Variantenvergleiche können in einem Minimum an Zeit durchgeführt werden
  • Normen und Regeln werden vollautomatisch berücksichtigt und Optimierungen werden direkt vorgeschlagen
  • Die Optimierung von Kosten, Ökobilanz und Ästhetik wird simultan berücksichtigt

In einem unserer aktuellen Projekte (KI4Edu) untersuchen wir die Anwendungsfelder von KI in der Bau- und Immobiliewnwirtschaft. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, wie effizient und zielgerichtet neue KI-gestützte Werkzeuge in verschiedenen Phasen eingesetzt werden können. Damit wird der Mensch mehr zum Dirigenten einer datengetriebenen Symphonie als zum eigentlichen Planer (die Ergebnisse werden bald veröffentlicht).

Wer tiefer in die Praxis der KI-Nutzung einsteigen möchte, findet im Beitrag KI Prompts in 6 Schritten eine leicht verständliche Einführung zur individuellen Nutzung von KI.

Robotik auf der Baustelle: Von der Idee zur Realisierung

Altman prognostiziert, dass bis 2027 Roboter in der Lage sein werden, praktische Aufgaben autonom zu erfüllen. Für das Bauwesen bedeutet das beispielsweise:

  • 3D-Druck ganzer Gebäudehüllen wird unmittelbar vor Ort geschehen
  • Die Montage von Bauteilen vollzieht sich (teil-)autonom und vollautomatisch
  • Drohnen und Roboter unterstützen die Ausführung und Kontrolle der Arbeitsergebnisse
  • KI-gesteuerte Lieferketten werden zur Grundlage einer Intelligenten Logistik, z.B. für Just-in-time-Lieferungen

Die gewünschten Folgen sind schnellere Bauzeiten, weniger Verschwendung und höhere Sicherheit. Gleichzeitig werden sich aber auch die Berufsbilder vieler Berufe im Handwerk wie auch im akademischen Bereich anpassen müssen. Mehr dazu später.

Mehr zur Frage, ob 3D-Druck im Bauwesen bereits Realität ist oder noch in den Kinderschuhen steckt, lesen Sie im Beitrag 3D-Druck von Gebäuden: Potenziale und Herausforderungen.

Digitale Zwillinge und KI – permanente Simulation im Bauwesen

Wenn Intelligenz “im Überfluss” verfügbar ist, lassen sich ganze Stadtquartiere – sogenannte “Smart Cities” – in Echtzeit simulieren:

  • Gebäude reagieren mit der Unterstützung von KI-Systemen auf Nutzung, Klima und Energiebedarf
  • Predictive Maintenance wird zur Norm im Betrieb von Gebäuden
  • Der Faktor Geld wird nicht mehr der einzig ausschlaggebende Faktor im Betrieb sein. Soziale Aspekte werden einen höheren Stellenwert bekommen.
  • Lebenszyklusoptimierung wird bereits ab dem ersten Gebäudeentwurf ein Thema sein können

Der digitale Zwilling wird zu DEM Werkzeug für nachhaltiges Bauen und Betreiben. Immobilien werden nicht mehr statisch und “eindimensional” gedacht, sondern als dynamische, lernende – gar “lebende” – Systeme.

Das wir dafür natürlich eine Vielzahl von Aufgaben und Anpassungen vor uns haben ist uns sicher allen klar. Ein Beispiel ist die Softwarelandschaft, die sich für den Austausch und die (fehlerfreie) Integration verschiedensten Datenquellen öffnen muss. Diese Notwendigkeit haben wir z.B. in einer gemeinsamen Untersuchung mit meinem Kollegen Ioannis Brilakis (University of Cambridge) am Beispiel von Energiedaten nachgewiesen. Zur Kopplung von Daten verschiedener Quellen mit KI wird uns in Zukunft das Model Context Protocol (MCP) eine wertvolle Hilfe sein (lesen Sie hier mehr dazu)

Das sind zumindest fundamentale Grundlagen, die gelegt werden müssen, um im großen Stil Smart Cities denken und planen zu können. Mehr zum Thema Smart City lesen Sie in den Beiträgen Smart City: Mit Digitalisierung in eine nachhaltige Zukunft und Smart Cities und die Auswirkungen auf unsere Lebensqualität.

Und all das ist uns sogar schon näher als wir vieleicht denken. Wie sich intelligente Assistenzsysteme bereits heute im Smart Home bewähren, zeigt der Beitrag Smart Home: 14 Systeme im Vergleich.

Governance und soziale Verantwortung: Wer gestaltet die Zukunft?

Wer Altmans Vision der “Gentle Singularity” liest, dem fällt direkt auf: Die Vision ist grundoptimistisch. Doch sie blendet kritische Fragen nicht gänzlich aus. Davon abgeleitet müssen wir uns in der Bau- und Immobilienwirtschaft folgenden Fragen stellen:

  • Wer profitiert am Ende wirklich von KI-gesteuerten Planungen bzw. für wen wird es welche Mehrwerte haben?
  • Wie verhindern wir neue Formen digitaler Gentrifizierung?
  • Wie bleiben öffentliche Stellen handlungsfähig, wenn Tech-Konzerne vorausmarschieren?
  • Wie verändern sich Macht- und Entscheidungsverhältnisse und wie muss damit umgegangen werden?

Digitale Gentrifizierung beschreibt die Gefahr, dass der digitale Wandel neue soziale Ungleichheiten schafft, wenn er nicht bewusst gestaltet wird.

In Deutschland und Europa entstehen aktuell erste Ansätze im Zuge der digitalen Transformation. Beispielsweise die KI-Verordnung der EU oder Initiativen wie das BIM-Portal des Bundes.

Was wir aber nicht vergessen dürfen: Viele Kommunen, Kammern und Mittelständler fühlen sich bei diesen Entwicklungen überfordert oder gar überholt. Wie ich es bereits bei meinem Vortrag im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) in Berlin angesprochen habe (siehe BIM-Weiterbildung im kommunalen Umfeld) braucht es zielgerichtete, adressatenadäquate Qualifizierungsoffensiven. Und dazu eine technologieoffene und vorallem sozial ausgerichtete Digitalstrategie für den Bau.

Welche Risiken mit dem Einsatz von KI verbunden sind – von Machtkonzentration bis zur Verzerrung von Realität – beleuchte ich ausführlich im Beitrag Künstliche Intelligenz und ihre dunklen Seiten. Und wie schwer es sein kann, zwischen realer Information und digitaler Manipulation zu unterscheiden, zeigt der Beitrag Satire oder Fake News?.

Transformation statt Verdrängung: Wie KI Berufe neu definiert

Sam Altman skizziert in seiner Vision keine Welt, in der Arbeit verschwindet, sondern eine, in der sie sich grundlegend wandelt. Auch in der Bauwirtschaft bedeutet das nicht das Ende von Berufen sondern deren Neudefinition. Tätigkeiten, die heute noch zeitintensiv, repetitiv oder technisch komplex sind, könnten künftig von KI-Systemen und Robotern übernommen werden. Doch genau dadurch entsteht Raum für neue Aufgaben und Rollenbilder:

  • Bauleitende müssen die ethische, strategische und fachliche Bewertung von Systemergebnissen übernehmen
  • Handwerkliche Tätigkeiten werden durch technologische Assistenz ergänzt
  • Es kommt zu einer Tätigkeitsverschiebung: Mehr dispositive Arbeit (Planung, Organisation und Kontrolle) und weniger operative Arbeit (“Hands-on”) am Bauwerk selbst.
  • Planende werden zu Kuratorinnen und Kuratoren von KI-Vorschlägen

Kuratorinnen und Kuratoren sind für die Gestaltung und den Bestand von Sammlungen, Ausstellungen oder Abteilungen eines Museums verantwortlich. Im Kontext der digitalen Transformation übernehmen sie eine neue Rolle: Sie kuratieren nicht mehr physische Objekte, sondern Daten, Informationen und Wissen, KI-generierte Inhalte und Entscheidungsoptionen.

In Zukunft geht es darum, digitale Prozesse bewusst zu gestalten, relevante Daten auszuwählen, maschinelle Vorschläge zu bewerten und diese in einen fachlichen, ethischen und sozialen Kontext einzubetten. In der Bauwirtschaft bedeutet das: Planende, Lehrende oder Projektverantwortliche werden zu Kuratorinnen und Kuratoren digitaler Werkzeuge, Daten und Informationen. Sie prägen damit aktiv die Qualität und Richtung des digitalen Wandels.

Entgegen manch anderer Meinungen oder dystopischen Visionen wird die Arbeit als solche nicht obsolet. Im Gegenteil, Arbeit hat das Potential menschlicher zu werden. Die Fähigkeit, Sinn zu stiften, Verantwortung zu übernehmen und den Kontext zu verstehen, wird wichtiger als je zuvor. Das passt zur Vision eines humanisierten Arbeitsumfelds in der Bauwirtschaft. Diese Entwicklung eröffnet Chancen für alle, die bereit sind, sich weiterzuentwickeln. Es ist quasi eine Einladung der wir folgen sollten. Aber, diese Einladung fordert zugleich Bildung, Qualifizierung und klare Leitbilder für eine neue Baukultur im Zeitalter der KI. Und das adressiert alle Ebenen und Akteure in der Bau- und Immobilienwirtschaft.

The Gentle Singularity: Zwischen Hoffnung und Verantwortung

Kommen wir langsam zum Schluss. Die Vision, die Altman entwirft, ist durchaus faszinierend. Ich mag daran auch, dass sie mehr positiv als negativ ist – was in seiner Position natürlich nicht verwunderlich ist, machen wir uns da nichts vor. Was ich besonders daran mag ist: Die Vision ermutigt dazu, KI nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als evolutionäres Werkzeug für Fortschritt und Wohlstand. Doch gerade im Kontext der Bauwirtschaft darf diese Vision nicht naiv übernommen werden. Eine “sanfte” Singularität ist nicht automatisch eine gerechte oder nachhaltige. Sie wird nur dann zur Chance für alle, wenn wir sie aktiv gestalten: technologisch, politisch und sozial. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Die Geschwindigkeit der Entwicklung überfordert bereits heute viele öffentliche Institutionen, Bildungseinrichtungen und mittelständische Akteure der Bauwirtschaft. Deshalb braucht es jetzt Initiativen, die sowohl Wissen vermitteln als auch Gestaltungsräume eröffnen – etwa durch KI-Kompetenzzentren, ethische Rahmenwerke beispielsweise für Planungssoftware oder die frühzeitige Auseinandersetzung und Definition von neuen Berufsprofilen. Diese Chance hätte man bereits bei der Neuordnung der Bauberufe und der neuen Rahmenlehrpläne nutzen können, aber das ist ein anderes Thema.

Ein nächster konkreter Schritt könnte die Entwicklung eines offenen Leitbilds „KI & Bauwirtschaft 2030“ sein – getragen von Wissenschaft, Praxis und Politik auf einer interdisziplinären Plattform. Dort sollten sich regelmäßig Akteure aus der Bau- und Immobilienpraxis, der Lehre, dem Handwerk und der Verwaltung austauschen, um Impulse zu bündeln und gemeinsam tragfähige Lösungen zu gestalten. Denn für die Zukunft ist mehr Vernetzung gefragt statt in seiner eigenen “Bubble” zu sitzen und sich gegenseitig zu sagen wie toll man ist.

Und nun?

Die Digitalisierung der Bauwirtschaft ist kein Zukunftsthema mehr. Die Transformation passiert jetzt – sie ist im vollen Gange. Und nicht nur irgendwie, sie schreitet voran wie der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen L0, der mit über 600 km/h durch die Yamanashi-Teststrecke fegt.

Was wir aus Altmans “Gentle Singularity” mitnehmen sollten bzw. welche Fragen wir uns jetzt stellen sollten:

  • Wie definieren wir die vorhandenen Berufsbilder in der Bau- und Immoblienwirtschaft neu, um wirklich eine sanfte Singularität ermöglichen zu können?
  • Welche Kompetenzen brauchen Fach- und Führungskräfte im Kontext von KI und wie können diese gefördert werden?
  • Wie können wir sicherstellen, dass KI nicht nur effizient, sondern auch fair wirkt?
  • Welche Rollen übernehmen wir in Zukunft als Fachleute, Lehrende oder Entscheidungstragende?

Wer heute baut, baut auch die Regeln von morgen mit. Lassen wir uns von Altmans Vision inspirieren. Aber was noch wichtiger ist: Wir müsssen auch Verantwortung übernehmen, damit diese Zukunft auch menschlich bleibt. Es geht um eine Ko-Evolution von Mensch und Technik für die wir alle verantwortlich sind.

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Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2025). The Gentle Singularity: Wie KI die Bauwirtschaft neu definiert [Blog-Beitrag]. 13.06.2025. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar

Häufig gestellte Fragen (FAQ)