Heute vor 10 Jahren, am 22. Dezember 2014, schloss ich meine Dissertation mit dem Titel „Simulation and Gaming in Construction Business“ erfolgreich ab. Ein Jahr später erhielt ich sogar den Deutschen Planspielpreis 2015 für meine Dissertation, was mich noch immer hoch erfreut. Diese Arbeit legte auch den Grundstein für eine Dekade intensiver Auseinandersetzung mit der Integration von handlungs- und erfahrungsorientierter Aus- und Weiterbildung für die Bauwirtschaft. Anlässlich dieses Jubiläums möchte ich die zentralen Inhalte meiner Dissertation, deren Bezug zur Transformation der Bauwirtschaft, die weiteren Entwicklungen sowie die zukünftige Rolle von Planspielen in der Bau- und Immobilienwirtschaft in diesem Beitrag thematisieren.
Der Hintergrund zu Simulation and Gaming
Die Bauwirtschaft gleicht manchmal einem orchestralen Meisterwerk: viele Akteurinnen und Akteure, komplexe Abläufe und ein stetiger Rhythmus. Doch wie ein Orchester braucht auch die Bauwirtschaft Werkzeuge, um Harmonie in komplexe Systeme zu bringen. Vor zehn Jahren beschäftigte ich mich in meiner Dissertation “Simulation and Gaming in Construction Business” mit der Frage: Wie können wir die Dynamik von Bauprojekten greifbarer machen und gleichzeitig didaktisch vermitteln? Die Antwort fand ich in der Verbindung von Simulationen und Planspielen.
Unterschied zwischen Simulation und Planspiel
Für viele erscheinen die Begriffe Simulation und Planspiel vielleicht synonym, aber es gibt entscheidende Unterschiede.
Dabei ist das Modell, das entweder in umfassender oder reduzierter Form eingesetzt werden kann, grundsätzlich als integraler Bestandteil sowohl der Simulation als auch des Planspiels anzusehen. Daher nimmt die Modellierung sowohl bei der Konzeptualisierung von Simulationen als auch von Planspielen eine zentrale Stellung ein, was der Grund für mich war die Modellierung in das Zentrum meiner Arbeit zu nehmen.
Der Kern der Arbeit: Ein modularer Modellierungsansatz
Die Frage war einfach: Wie können wir ein Modell schaffen, das sowohl für detaillierte Simulationen als auch für didaktisch reduzierte Planspiele nutzbar ist? Hier kommt die von mir entwickelte System Dynamics Library (SDL) ins Spiel, auf deren Basis ich die Construction Dynamics Library (CDL) aufgebaut habe. Basierend auf den Prinzipien der System Dynamics, entwickelte ich diese Bibliothek als Grundlage, um komplexe Prozesse in der Bauwirtschaft strukturiert zu entwickeln und damit zu analysieren.
Die Prinzipien von System Dynamics sind seit den Arbeiten von Jay Wright Forrester ein bewährtes Mittel zur Analyse von komplexen Systemen. Meine Arbeit zeigte, wie diese Prinzipien in der Bauwirtschaft ebenso angewandt werden können. Die besondere Stärke der CDL liegt in der Flexibilität: Aus einem zentralen Modell kann sowohl eine detaillierte Simulation als auch ein didaktisch reduziertes Planspiel entwickelt werden.
Unter Verwendung der CDL-Struktur ist es zudem möglich die Modellierung mit Fokus auf bestimmte Entscheidungs- oder Funktionsbereich im Unternehmen einzugrenzen, was die Entwicklung von Modellen erleichtert.
Es stellt sich wahrscheinlich jetzt die Frage: Warum denn modular? Nun, weil komplexe Systeme – und dazu gehören auch Bauprojekte – in unserem Kopf besser funktionieren, wenn man sie in handhabbare Teile zerlegt. Der modulare Ansatz erlaubte es, verschiedene Szenarien zu simulieren ohne sich in der Komplexität zu verlieren. Mit dem Tool VenSim von Ventana Systems ließ sich die Modellbibliothek effektiv aufbauen.
Construction Giant – Das erste Planspiel
Construction Giant war der erste Prototyp. Dieser Prototyp war nicht digital, sondern analog – ein Brettspiel. Warum? Weil analoge Ansätze oft der beste Weg sind, um Logik und Struktur zu testen, bevor man die Technologie einsetzt. Analoge Planspiele sind seit Jahren ein wichtiger Bestandteil der Didaktik. Sie fördern nicht nur das Verständnis von Prozessen, sondern auch die Zusammenarbeit in Teams. In dieser Phase der Bearbeitung wurden die Ergebnisse berücksichtigt, die ich aus meiner Forschung zur Geschichte von Simulation und Planspiel erarbeitet habe. Teile meiner Arbeit haben schließlich auch das Lemma “Planspiel” in der deutschen Wikipedia umfassend bereichert. Flankiert habe ich die Grundlagen mit einer tiefen Auseinandersetzung zum Kompetenzbegriff. Daraus ist bereits 2011 die Definition des kompetenzorientierten Planspiels entstanden, welche ich meiner weiteren Arbeit zu Grunde legte.
Als Hilfestellung zur Entwicklung von kompetenzorientierten Planspielen habe ich zudem eine formalisierte Verfahrensweise entwickelt.
Fachlich liegen dem Planspiel Construction Giant Ergebnisse aus eigenen empirischen Studien zu Grunde hinsichtlich der Kompetenzanforderungen in der Bauwirtschaft (Studie KompBauDE).
Im Planspiel Construction Giant übernahmen die Teilnehmenden die Rollen von Bauunternehmen, die Entscheidungen in den Bereichen Markt, Projekt und Unternehmen treffen mussten. Das Spiel enthält neben dem Spielbrett unter anderem Projektkarten, Ereigniskarten (für Projekte, Unternehmen und den Markt), verschiedenartige Würfel und Spielsteine, Sanduhren, Formulare (für Angebote, Kooperationen, Versicherungen und Kredite) wie auch Spielgeld, um das haptische Erlebnis zu erhöhen.
Die Spielerinnen und Spieler mussten den Markt und die Mitbewerberinnen und Mitbewerber im Blick haben, Entscheidungen treffen und deren Auswirkungen auf Zeit, Kosten und Qualität beobachten. Der besondere Vorteil von Construction Giant ist, es machte die Komplexität eines Bauprojekts greifbar, ohne es zu überladen. Dabei wurde ebenso eine modulare Komplexität verfolgt, so dass beispielsweise Ereignisse dosiert in das Spiel eingewirkt haben.
Chameleon – Die digitale Weiterentwicklung
Während Construction Giant die Grundlage legte, war Chameleon der nächste Schritt in die digitale Welt. Die Entwicklung eines digitalen Planspiels spiegelte zudem den zunehmenden Trend zur Digitalisierung in der Bauwirtschaft wider. Hier wurde die analoge Logik in eine digitale Online-Plattform überführt, die internationale Bauprojekte simulierte.
Ziel war es, Teams aus unterschiedlichen Disziplinen und Kulturen zusammen zu bringen und ihre Zusammenarbeit zu stärken. Und das noch bevor Collaborative Online International Learning (kurz COIL) in Mode gekommen ist. Die Teilnehmenden mussten in Echtzeit auf Projektveränderungen reagieren und gemeinsam Entscheidungen treffen. Dabei wurden sowohl lokale als auch globale Planspielveranstaltungen mit internationalen Partnern umgesetzt.
Das Chameleon Planspiel wurde erfolgreich an/mit folgenden Institutionen durchgeführt:
- Universität Duisburg-Essen, 2011 – 2015
- Stanford University, 2012 (DAAD-gefördert) und 2013 (Eigenfinanziert)
- GeorgiaTech, 2012 (DAAD-gefördert)
- National Technical University Athens mit Universität Duisburg-Essen, 2012 (Erasmus-Programm) und 2013 (Erasmus-Programm)
- Hochschule Ruhr-West, 2016 – 2023
- Institut für Verbundstudien – IfV NRW, 2022
- Covenant University mit Hochschule Ruhr-West, 2023 – 2024 (COIL Förderung)
Eine Zusammenfassung von weiteren Details zur Entwicklung von Chameleon ist auf der Projektseite chameleonbase.com zu finden.
Construction Project Flight Simulator (CPFS)
Parallel zu den Planspielen entstand mit VenSim ein dynamisches Simulationstool: der Construction Project Flight Simulator (CPFS). Der Einsatz von Simulationssoftware wie VenSim ist in der Systemdynamik ein bewährtes Mittel, um komplexe Prozesse zu analysieren, zu verstehen und zu optimieren. Die Idee war, Bauprojekte wie einen Flugsimulator zu behandeln – CPFS als ein Tool, das es ermöglicht, verschiedene Szenarien zu testen, bevor sie in der Realität umgesetzt werden. Die bereits entwickelten Elemente in der Construction Dynamics Library (CDL) stellten die Basis für den CPFS.
Damit ist der CPFS ein modular entwickeltes Lern-und Analysewerkzeug zur dynamischen Simulation von komplexen Bauprozessen, welches in der Aus- und Weiterbildung wie auch in der Forschung eingesetzt werden kann.
Vom Modell zur Simulation zum Planspiel und wieder zurück
Wie bereits gezeigt war mein Ziel bei “Simulation and Gaming in Construction Business” die Entwicklung und praktische Erprobung eines modularen Modellierungsansatzes, der sowohl in der Simulation multikausaler und dynamischer Zusammenhänge auf verschiedenen Ebenen der Bauwirtschaft als auch in Planspielen für wissenschaftliche und berufliche Zwecke eingesetzt werden kann. Dabei stellt einerseits die Richtung der Entwicklung und andererseits die Rückführung von Erkenntnissen in die Simulation wie auch in das Modell eine besonders relevante Synergie dar.
Aus der Zielsetzung meiner Arbeit sind zahlreiche Forschungsbeiträge und Handlungshilfen im Bereich Modellierung, Simulation und Planspiele entstanden (siehe meine Publikationsliste). Dabei hat sich auch die nachfolgende Definition des Forensischen Entscheidungsspiels entwickelt:
Potential für agentenunterstütztes Lernen
Zum Ende meiner Arbeit hatte ich vorgeschlagen zukünftig die Einbindung von Software-Agenten in Erwägung zu ziehen. Und zwar Software-Agenten zur Unterstützung a) der Entscheidungsfindung der Teilnehmenden und b) der Analyse der Entscheidungen der Teilnehmenden durch den Lehrenden.
Beides stellt weiteres Potenzial dar, das Verhalten der Teilnehmenden weiter zu erforschen und das Lernen noch individualisierter zu gestalten. Erste Versuche dazu habe ich gemeinsam mit Arnim Spengler umgesetzt und damit gezeigt, dass eine solche Einbindung funktioniert und sinnvoll ist (siehe Karl & Spengler, 2018). Mit den heute verfügbaren Tools und Schnittstellen zur Künstlicher Intelligenz ist dieser Schritt sogar noch einfacher als vor 10 Jahren.
Hinweis: Lesen Sie auch das Interview mit Arnim Spengler zu BIM, KI und Robotik im Bauwesen.
Simulation and Gaming und die Planspielentwicklung an der Universität Duisburg-Essen
Meine Disseration ermöglichte mir die vertiefte Auseinandersetzung mit verschiedenen Bereichen wie Baumanagement, Ökonomie, digitalen Methoden und der Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften. Basierend auf diesem Interesse und den über die Jahre weiter aufgebauten Expertisen sind in verschiedenen Kontexten weitere erfahrungs- und handlungsbasierte Lerngelegenheiten entstanden, die ich zum Teil auch mit Studierenden in unterschiedlichen Kontexten und Formaten entwickelt und umgesetzt habe.
Analoge Planspiele (Auszug erprobter Prototypen)
- Einsatz in Grimhausen – Planspiel für Fach- und Führungskräfte im Katastrophenschutz (Deutscher Planspielpreis 2023), siehe Projektseite
- Bau Mogul – Ressourcenmanagment, Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Durchsetzungsvermögen
- Baumaster – Dein Baumanagementwissen auf dem Prüfstand!
- BauPoly – Bebauung im Quartier
- Bau Simulation – Strategisches Personalmanagement
- Bauwissensking – Unternehmensführung leicht erspielt!
- Bauleiter ärgere Dich nicht – Verfestige Dein Fachwissen!
- Buyer and Seller – Versuche das beste Ergebnis zu erzielen!
- Phase 9 – Das Spiel zur HOAI
- Projekt 9001 – Projektsteuerung im Bauunternehmen
- Under Construction – Wirtschaftliche Ressourcennutzung
Rollenspiele (Auszug erprobter Prototypen)
- PUK – Persönlichkeit und Kommunikation
- Der Neue – Konfliktverhalten im Unternehmen
- Das Nebenangebot – Identifizierung von Führungspotential
- Konflikte auf der Baustelle – Probleme erkennen, analysieren und beseitigen
Auswahl weiterer analoger Lernspiele
- Das 10€-Spiel – Ein universelles Aufmerksamkeitsspiel
- Wort des Tages – Kartenspiel zur Eigen- und Gruppenreflexion (auch gut geeignet zur Sprachbildung bei stark heterogenen Lerngruppen)
- Avanti! – Ein schnelles Frage-Antwort-Spiel für die Überprüfung von Lerninhalten aus Büchern, Produktbroschüren oder technischen Referenzhandbüchern
- Intervention – Ein Strategiespiel zur Verbesserung der Leistung einer Einzelperson, eines Teams oder einer Organisation
Planspiel für digitales Bauprojektmanagement/ BIM-Planspiel
Angesichts der zunehmenden Bedeutung digitaler Kompetenzen und innovativer Schulungskonzepte dienten die in meiner Dissertation beschriebenen Ansätze auch als Grundlage für die Weiterentwicklung von Fortbildungen für die Baubranche. In diesem Zusammenhang habe ich die Konzepte weiterentwickelt und in Schulungen für verschiedene Zielgruppen integriert, beispielsweise im Rahmen des Projekts ProNet Handwerk (BMBF Innovationswettbewerb „InnoVET“) in den dort mitentwickelten Weiterbildungslehrgang „Geprüfte/r Berufsspezialist/in für Building Information Modeling (BIM) im Handwerk“ und den Bachelor Professional für Energieeffizienz und digitales Bauprojektmanagement (EDiB). Insbeondere für die Zielgruppe Handwerk wurde mit diesen Fortbildungen ein dringend notwendiger Meilenstein gelegt.
Und nun?
Nach nunmehr 10 Jahren kann ich sagen, dass Planspiele und Simulationen noch immer immenses Potential bieten, das heute noch immer nicht voll ausgeschöpft wird. Ich lade Sie ein, gemeinsam mit mir die Potenziale dieser Ansätze weiterzuentwickeln. Ob in Forschung, Lehre oder Praxis – lassen Sie uns neue Wege gehen, um die Bauwirtschaft innovativer und resilienter zu gestalten.
Planspiele und Simulationen sind nicht nur Werkzeuge der Vergangenheit oder Gegenwart, sondern Wegweiser in die Zukunft. Die letzten zehn Jahre haben mir gezeigt, wie wertvoll diese Ansätze für die Aus- und Weiterbildung, für strategische Entscheidungen und für die Transformation der Bauwirtschaft als Ganzes sein können. Doch das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft – vielmehr stehen wir an der Schwelle zu einer neuen Ära, in der digitale und analoge Lernmethoden Hand in Hand gehen können, um komplexe Herausforderungen zu meistern.
Ich lade Sie ein, Teil dieser Entwicklung zu werden. Ob Sie Lehrende, Forschende, Praktiker oder Studierende sind – die Möglichkeiten, mit Planspielen und Simulationen Innovationen zu schaffen, sind aktuell noch immer grenzenlos. Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft gestalten: Entwickeln wir neue Formate, integrieren wir frische Ideen und schaffen wir Lern- und Experimentierräume, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Begeisterung wecken.
Schließen Sie sich dem Netzwerk der Gestalterinnen und Gestalter der Bauwirtschaft an! Schreiben Sie mir gerne Ihre Gedanken, teilen Sie Ihre Erfahrungen oder lassen Sie uns gemeinsam neue Projekte anstoßen. Nutzen Sie gerne das Kontaktformular und lassen Sie uns gemeinsam den nächsten Schritt in eine innovative und resiliente Bauwirtschaft gehen.
Jubiläumsausgabe als e-Book
Zur Feier der 10 Jahre habe ich die Dissertationsarbeit nochmals lektoriert, mit zusätzlichen Publikationen und Links zu Modellen versehen und als e-Book aufbereitet. Die “revised version” kann über Amazon bezogen werden. Inkludiert ist ein Prolog zur Jubiläumsausgabe. Wie das Original ist auch diese Version in englischer Sprache verfasst.
Das Buch zur SDL
In diesem Buch habe ich 2016 gemeinsam mit Bill Ibbs (University of California at Berkeley) erweitertete Inhalte veröffentlicht, die ausschließlich die Modellierung und Simulation mit der SDL behandeln.
Quellenverzeichnis:
Karl, C. & Spengler, A. (2018). Agentenunterstütztes Lernen unter Einsatz des Online-Planspiels Open Chameleon. In: Flexibles Lernen mit digitalen Medien ermöglichen. online verfügbar
Karl, C. (2015). Simulation and gaming in construction business: design of a module-oriented modeling approach based on system dynamics and its prototypical implementation in research and education, online verfügbar
Karl, C. (2011). Kompetenzorientierte Planspiele – Ein neuer Ansatz zur Konzeption von Planspielen in der Aus- und Weiterbildung. In: Willy Kriz (Hrsg.): Planspiele in der Personalentwicklung. Wiss.-Verl., Berlin 2011, ISBN 978-3-86573-648-2, S. 32.
Schlagwörter: digitale Transformation, Planspiel, Simulation, Bauwirtschaft, Digitalisierung, Innovation, Weiterbildung
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). 10 Jahre ‘Simulation and Gaming in Construction Business’ [Blog-Beitrag]. 22.12.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar