Im heutigen Interview geht es um eine innovative Entwicklung in der Baustoffforschung. Ich freue mich sehr, Jun.-Prof. Dr.-Ing. Luise Göbel von der Bauhaus-Universität Weimar begrüßen zu dürfen. Sie leitet die NanoMatFutur-Nachwuchsforschungsgruppe StimuCrete, die sich mit der Entwicklung von intelligentem Beton beschäftigt.
CK: Hallo Luise, schön, dass du dir die Zeit nimmst. Bevor wir starten, bist du einverstanden, wenn wir per Du sind?
LG: Natürlich, das macht das Gespräch doch viel entspannter. Danke für die Einladung!
CK: Super! Dann lass uns direkt einsteigen. Magst Du Dich den Leserinnen und Lesern kurz vorstellen?
LG: Sehr gern. Von der Fachrichtung her bin ich tatsächlich Baustoffingenieurin. Nach meinem Masterabschluss promovierte ich im Rahmen eines Graduiertenkollegs, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, an der Bauhaus-Universität Weimar. Im Rahmen dieser Tätigkeit forschte ich auch mehrere Monate an der TU Wien. Anschließend widmete ich mich an der Materialforschungs- und -prüfanstalt in Weimar verstärkt den Themen nachhaltiges Bauen und innovative experimentelle Methoden zur Charakterisierung von Baustoffen. Parallel dazu hatte ich von 2019 bis 2022 eine Kooperation mit der Université libre de Bruxelles, bei der wir die Mikrostruktur von zementfreien Betonen erforschten. Im Jahr 2023 nahm ich einen Ruf als Juniorprofessorin auf dem Gebiet „Werkstoffmechanik“ an der Bauhaus-Universität Weimar an. Seit Anfang des Jahres leite ich nun die NanoMatFutur-Nachwuchsgruppe zum Projekt StimuCrete, welche vom BMBF [Anm.d.R. Bundesministerium für Bildung und Forschung] gefördert wird.
CK: Dein Werdegang hört sich sehr spannend und vielfältig an. Bei meiner Doktorarbeit war übrigens Prof. Bargstädt aus Weimar mein Co-Examiner. Die Bauwelt ist eben ein Dorf [lacht]. Inwiefern haben Dich Deine internationalen Erfahrungen geprägt bzw. beeinflusst?
LG: Ich würde sie nicht missen wollen, da sie für meine fachlichen Interessen und Ansichten sehr prägend waren. Insbesondere in Wien, am Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen, habe ich methodische Feinheiten bei Laborversuchen vermittelt bekommen, die ich auch heute meinen Doktoranden weitergebe. Außerdem konnte ich dort eine besondere Philosophie in Bezug auf die computergestützte Beschreibung von Baustoffen kennenlernen, welche sich deutlich von anderen Ansätzen abhebt. Und nicht zuletzt die Leidenschaft für die Forschung, die mir an verschiedenen Standorten begegnet ist, inspiriert mich nachhaltig.
CK: Ich weiß genau, was Du meinst. Über den Tellerrand schauen zu können und inspirierende Menschen und neue Methoden kennen zu lernen ist in der Tat eine wertvolle Bereicherung. Kommen wir jetzt mal zu StimuCrete. Könntest Du uns einen Überblick über das Projekt geben?
LG: Das Projekt StimuCrete zielt darauf ab, Beton durch den Einsatz von innovativen Zusatzstoffen intelligente Eigenschaften zu verleihen. Bislang ist es ja so, dass wir dieses Material nach seiner Herstellung kaum verändern können. Wir möchten dies ein Stück weit ändern, in dem wir neue Additive entwickeln. Durch eine äußere Anregung können diese aktiviert werden und die Eigenschaften des Betons sowohl im frischen als auch im gehärteten Zustand ein Stück beeinflussen. Dadurch können wir beispielsweise das Erstarren des Betons auf Knopfdruck steuern oder Selbstheilungskräfte im Material aktivieren.
CK: Das klingt faszinierend. Zum Thema selbstheilender Beton habe ich ja auch schon einen kurzen Beitrag auf BauVolution veröffentlicht. Aber bei StimuCrete geht ihr weiter als andere Projekte, oder? Was ist anders und welche konkreten Anwendungen sind für diesen intelligenten Beton denn geplant?
LG: Genau, wir möchten noch einen Schritt weiter gehen und Materialien entwickeln, die direkt auf Substanzen reagieren, die das Bauwerk potentiell schädigen können. Dies sind insbesondere Chloride, die durch die Verwendung von Tausalzen in der kalten Jahreszeit entstehen. Dringen sie in den Beton ein, stellen sie eine große Gefahr für die Stahlbewehrung dar, da es zur sogenannten Lochfraßkorrosion kommen kann. Wir möchten nun neuartige Kapseln entwickeln, die diese Chloride aufnehmen und dadurch unschädlich machen. Zugleich wird dadurch eine Öffnung der Kapseln in Gang gesetzt und es werden Materialien freigesetzt, die in der Lage sind, Risse im Beton von innen heraus zu verschließen. Besonders wichtig sind die neuen Baustoffe für Brückenbauwerke oder Tiefgaragen und Parkhäuser. Dort kommt es häufig zu solchen Belastungen.
CK: Das ist aber nur ein Schwerpunkt eures Forschungsprojektes. Ihr habt noch mehr vor, oder?
LG: Genau, wir möchten auch das Verhalten von Beton im frischen, also flüssigen Zustand intelligenter gestalten. Während des Mischprozesses oder der Herstellung kann es zum Beispiel durch Witterungseinflüsse oder Rohstoffschwankungen dazu kommen, dass sich der Beton anders verhält als gewollt. Da wäre es doch toll, wenn es diesen Knopf gebe, mit dem man den Beton dazu bringen könnte, schnell zu erstarren oder wieder etwas fließfähiger zu werden. An dieser Idee forschen wir nun auch.
CK: Oh ja, so ein Knopf wäre sicherlich sehr vorteilhaft. Luise, das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert dein Projekt mit rund 1,9 Millionen Euro. Welche Bedeutung hat diese Förderung für eure Arbeit?
LG: Diese sehr hohe Förderung ist eine ganz tolle Chance. Zum einen konnte ich mir damit ein Team aufbauen, welches aus verschiedenen Fachrichtungen zusammengesetzt ist. Dazu gehören eine Materialwissenschaftlerin, zwei Chemiker, ein Elektrotechniker und ein Baustoffingenieur. Das kommt in der Forschungslandschaft nicht allzu häufig vor. Außerdem haben wir nun fünf Jahre Zeit, die ambitionierten Ideen voranzutreiben und innovative Lösungen für die Bauwirtschaft zu entwickeln. Ich glaube, dass wir damit einen wirklich wichtigen Schritt machen können, auch um den Transfer in die Praxis zu ermöglichen.
CK: Das klingt nach einer echt großartigen Möglichkeit. Kannst du vielleicht noch etwas mehr zum Förderformat erzählen? Ich kann mir vorstellen, dass viele Leserinnen und Leser noch nichts von NanoMatFutur gehört haben.
LG: Bei NanoMatFutur handelt es sich um einen Nachwuchswettbewerb in den Materialwissenschaften, der vom BMBF gefördert wird. Er richtet sich explizit an herausragende Nachwuchswissenschaftler*innen in Deutschlang und wird jedes Jahr an circa 5 bis 7 Personen verliehen. In der Regel werden damit Themen in den Bereichen Energietechnik, Mobilität oder Gesundheit gefördert. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich zum ersten Mal die Förderung für ein Thema im Baubereich gewinnen konnte.
CK: Dazu nochmals meinen herzlichen Glückwunsch. Das ist auch ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bauwirtschaft immer mehr zu einer hochinnovativen Branche wird. Als Treiber der digitalen Transformation in der Bau- und Immobilienwirtschaft interessiert mich besonders, inwiefern kann StimuCrete zur Automatisierung in der Bauwirtschaft beitragen?
LG: Vielleicht ist das nicht ganz so offensichtlich, aber durch die Entwicklung von Betonen, deren Eigenschaften gezielt gesteuert werden können, schaffen wir auch bessere Grundlagen für automatisierte Fertigungsverfahren wie den 3D-Beton-Druck. Das kann am Ende eine höhere Präzision, Effizienz und Flexibilität im Bauprozess bedeuten und trägt somit zur Automatisierung der Branche bei.
CK: Aus meiner Erfahrung als Science Angel im Masterstudiengang „Innopreneurship“ kenne ich spannende Ideen und Ansätze, aber auch, dass nicht alles nur super positiv ist. Ein reflektierter Blick hinsichtlich der Probleme, vor allem in der Implementierung, ist dabei unerlässlich. Welche Herausforderungen siehst du bei der Implementierung von StimuCrete in der Praxis?
LG: Eine der größten Herausforderungen ist die Integration neuer Materialien in bestehende Bauprozesse und Normen. Es erfordert enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern und Standardisierungsgremien, um die Akzeptanz und Anwendung zu fördern. Zudem ist die Baubranche in ihrer Natur eher konservativ, da sie sich in alle Richtung absichern muss. Das ist auch eminent wichtig, birgt aber entsprechende Herausforderungen für die Umsetzung. Ein weiterer Punkt sind sicherlich auch die enorm großen Mengen an Beton, die tagtäglich verarbeitet werden. Diese Upscalingproblematik müssen wir entsprechend immer mitdenken. Es ist zwar schön, wenn unsere Ideen im Labormaßstab funktionieren, aber sie müssen dies auch im Großen tun.
CK: Du hast u.a. HeidelbergCement AG und die PERI GmbH für einen Projektbeirat gewinnen können. Wie reagieren die Industriepartner auf die bisherigen Forschungsergebnisse?
LG: Wir erhalten positive Rückmeldungen und großes Interesse seitens der Industrie. Unsere Partner aus Forschung und Industrie unterstützen uns tatkräftig sowohl durch ihr Knowhow als auch durch die Bereitstellung von Materialien oder die Möglichkeit, unsere Ideen an Demonstratoren zu testen. Viele weitere Unternehmen erkennen das Potenzial von intelligentem Beton für ihre Prozesse und Produkte und sind an Kooperationen interessiert.
CK: Neben StimuCrete, wie siehst Du die Zukunft des Bauens in Bezug auf Materialien und Technologien?
LG: Ich glaube, dass wir in Zukunft noch mehr auf Materialien setzen müssen, die über smarte Eigenschaften verfügen. Es wäre doch toll, wenn beispielsweise ein Beton nicht nur das tragende Material von Häusern ist, sondern auch zur Luftreinigung beiträgt, oder der Asphalt einer Autobahn über Mechanismen zum Laden von E-Autos verfügt. Hier gibt es bereits tolle visionäre Ideen. Über allem steht natürlich die Fragen nach der Nachhaltigkeit, die die Baubranche weiterhin intensiv beschäftigt.
CK: Wir haben ja schon über die Optimierung von Material und Prozess gesprochen. Ganz konkret, welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit in eurem Projekt?
LG: Eigentlich zielen all unsere Forschungsansätze darauf ab, die Nachhaltigkeit zu adressieren. Durch den selbstheilenden Beton kann der Reparaturaufwand reduziert, aber auch die Lebensdauer von Bauwerken verlängert werden. Dies trägt auch zur Ressourcenschonung bei. Verfahren wie der 3D-Beton-Druck sind selbst materialsparende Herstellungsweisen, da das Material nur dort abgelegt wird, wo es tatsächlich gebraucht wird.
CK: Neben den aktuellen Industrie- und Projektpartnern, wie können interessierte Unternehmen oder Institutionen mit euch zusammenarbeiten?
LG: Wir sind stets an Kooperationen interessiert. Unternehmen können sich direkt an mich wenden, um gemeinsame Projekte zu initiieren oder unsere Forschungsergebnisse zu diskutieren. Forschung sollte transparent sein und am Ende einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Forschung nur zum Selbstzweck, das ist nicht meins. Die Verbreitung unserer Forschungsthemen auch an ein nichtfachliches Publikum ist ein Herzensanliegen von mir.
CK: Das bedeutet, Du siehst eine Notwendigkeit des breiteren Erkenntnis- und Wissenstransfers, wie zum Beispiel über Online-Plattformen und Blogs?
LG: Oh ja, solche Plattformen sind essenziell, um aktuelle Forschungsergebnisse und Innovationen einem breiten Publikum zugänglich zu machen und den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu fördern. Die eine Seite der Forschung ist der Austausch mit Spezialist*innen aus unserem Gebiet über Konferenzen und Fachjournale. Zusätzlich sollte aber auch die Kommunikation über andere Kanäle, darunter auch Social Media, mitgedacht werden. Dadurch können auch fachfremde Personen einen unmittelbaren Zugang zu Ergebnissen aus der Forschung erhalten.
CK: Luise, vielen Dank für das sehr informative Gespräch. Ich wünsche Dir und Deinem Team weiterhin viel Erfolg mit StimuCrete und freue mich auf weitere spannende Entwicklungen.
LG: Sehr gerne. Den Dank kann ich nur zurückgeben.
Für weitere Informationen besuchen Sie gerne die LinkedIn-Seite der Juniorprofessur Werkstoffmechanik an der Bauhaus-Universität Weimar oder die NanoMatFutur-Seite zu StimuCrete.
Schlagwörter: StimuCrete, NanoMatFutu, Materialwissenschaft, Werkstoffmechanik, 3D-Druck, Nachhaltigkeit, intelligenter Beton
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Im Dialog: Luise Göbel über das Forschungsprojekt StimuCrete und Innovationen für zukünftige Baustoffe [Blog-Beitrag]. 22.11.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar