Smart Materials, auch als intelligente Materialien bekannt, sind eine neue Generation von Werkstoffen, die in der Lage sind, auf äußere Einflüsse wie Temperatur, Feuchtigkeit oder mechanische Belastungen dynamisch zu reagieren. Diese Eigenschaften machen sie besonders attraktiv für die Bau- und Immobilienwirtschaft, wo sie zur Verbesserung der Effizienz, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit von Bauwerken beitragen können. In diesem Beitrag gebe ich Ihnen einen kurzen Überblick über diese neuartigen Werkstoffe.
Ursprung und Entwicklung von Smart Materials
Die Geschichte von Smart Materials beginnt in den 1950er Jahren mit der Entdeckung piezoelektrischer Materialien, die elektrische Spannung erzeugen, wenn sie mechanischen Belastungen ausgesetzt werden (Uchino, 1997). Diese Materialien fanden schnell Anwendung in Sensoren und Aktuatoren und legten den Grundstein für die spätere Entwicklung intelligenter Materialien. In den 1960er Jahren wurden Formgedächtnislegierungen (Shape Memory Alloys, SMA) entdeckt, die sich nach einer Verformung durch Wärme wieder in ihre ursprüngliche Form zurückverwandeln können. Diese Legierungen wurden zunächst in der Luft- und Raumfahrttechnik eingesetzt, fanden aber bald auch in anderen Industriezweigen Anwendung, wie z.B. dem Meeresingenieurwesen (Buehler & Wang, 1968).
In den 1980er Jahren erlebte die Forschung an Smart Materials einen weiteren Aufschwung, insbesondere durch Fortschritte in der Mikro- und Nanotechnologie. Neue Materialien wie elektroaktive Polymere (EAPs), die elektrische Energie in mechanische Bewegung umwandeln können, wurden entwickelt und fanden Anwendung in Bereichen wie künstlichen Muskeln und taktilen Sensoren (Bar-Cohen, 2006).
Im 21. Jahrhundert haben Smart Materials weiter an Bedeutung gewonnen, vor allem im Kontext von Nachhaltigkeit und Energieeffizienz. Beispiele moderner Entwicklungen umfassen thermochromatische Materialien (Garshasbi & Santamouris, 2019; Hu & Yu, 2018) und photochromatische Materialien (Yao et al., 1992; Zhang et al., 2013), die ihre optischen Eigenschaften je nach Temperatur oder Lichtintensität verändern, sowie magnetorheologische Flüssigkeiten, die ihre Viskosität unter dem Einfluss eines Magnetfeldes ändern können (Granqvist et al., 2018).
Anwendung von Smart Materials in der Bauwirtschaft
Smart Materials finden in der Bau- und Immobilienwirtschaft bereits eine breite Anwendung. Ein Beispiel ist der selbstheilende Beton, der Mikrokapseln mit Bakterien enthält, die bei Kontakt mit Wasser aktiv werden und Kalkstein produzieren, um Risse im Beton zu verschließen (siehe auch der Beitrag Selbstheilender Beton und digitales Echtzeitmonitoring). Dieses Material wurde zum Beispiel in Projekten wie an der Delft University of Technology in den Niederlanden getestet und zeigt das Potenzial, die Lebensdauer von Bauwerken erheblich zu verlängern und die Instandhaltungskosten zu reduzieren (Van Tittelboom & De Belie, 2013).
Thermochromische Materialien, die ihre Lichtdurchlässigkeit in Abhängigkeit von der Temperatur ändern, werden in Projekten wie dem Emporia Einkaufszentrum in Malmö, Schweden, eingesetzt. Diese Fenster tragen zur Reduzierung des Energieverbrauchs für Klimatisierung bei und unterstützen so die Nachhaltigkeitsziele moderner Architektur.
Ein weiteres Beispiel ist Pavegen bei dem piezoelektrische Sensoren in Fußböden integriert werden, um durch das Gehen von Passanten Energie zu erzeugen. Diese Energie wird genutzt, um Beleuchtungssysteme in der Nähe zu betreiben (mehr dazu siehe Pavegen Systems).
Das folgende Video von Pavegen zeigt gut das Potenzial erneuerbarer Energiequellen in der städtischen Infrastruktur.
Aktuelle Forschung
Die Forschung im Bereich Smart Materials konzentriert sich zunehmend auf die Integration dieser Materialien in intelligente Gebäudefassaden und adaptive Gebäudestrukturen. Dazu kann beispielsweise auch die „Adaptive Solar Fascade“ der ETH Zürich gezählt werden. Hier wird an Fassaden gearbeitet, die dynamisch auf Umweltbedingungen reagieren können.
Lesetipps:
- Einen Überblick zu dynamischen Fassaden finden Sie in Jamilu et al. (2024).
- Einen Überblick über von Pflanzen inspirierte Gebäudehüllen geben Houda & Mohamed (2018).
- Einen umfassenden Überblick über Reizresponsive Materialien gibt Urban (2011).
Weitere interessante Forschungsprojekte lassen sich im Living Material Lab der University of Colorado Boulder finden. Dieses Lab untersucht beispielsweise die bioinspirierte Restaurierung gealterter Betonstrukturen durch Selbstreparaturfähigkeiten, die normalerweise bei lebenden Organismen zu finden sind.
Ein weiteres Forschungsvorhaben ist das Projekt “StimuCrete” an der Bauhaus-Universität Weimar. Dieses Projekt entwickelt “intelligenten Beton”, der durch neuartige Zusatzstoffe auf Knopfdruck formbar oder selbstheilend wird. Ziel ist, Betonstrukturen flexibler und langlebiger zu machen und dabei automatisierte Fertigungsprozesse wie den 3D-Druck zu unterstützen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit knapp 1,9 Millionen Euro (mehr dazu hier). Leiterin ist Jun.-Prof. Dr.-Ing. Luise Göbel.
Und nun?
Smart Materials zeigen immer mehr, dass sie das Potenzial haben die Bau- und Immobilienwirtschaft nachhaltig zu verändern. Ihre Fähigkeit, sich dynamisch an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, trägt nicht nur zur Verbesserung der Effizienz und Langlebigkeit von Bauwerken bei, sondern auch zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Aus diesem Grund sollten wir die fortlaufende Forschung und die Implementierung innovativer Projekte auf diesem Gebiet, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene, stetig im Auge behalten, um das Potenzial von Smart Materials möglichst früh in die Praxis zu integrieren.
Quellenverzeichnis:
Buehler, W. J., & Wang, F. E. (1968). A summary of recent research on the nitinol alloys and their potential application in ocean engineering. Naval Ordnance Laboratory. online verfügbar
Jamilu, G., Abdou & A., Asif, M. (2024). Dynamic facades for sustainable buildings: A review of classification, applications, prospects and challenges, Energy Reports, Volume 11, p. 5999-6014, ISSN 2352-4847. online verfügbar
Garshasbi, S., & Santamouris, M. (2019). Using advanced thermochromic technologies in the built environment: Recent development and potential to decrease the energy consumption and fight urban overheating. Solar Energy Materials and Solar Cells. online verfügbar
Granqvist, C.G., Arvizu, M.A., Bayrak Pehlivan, İ. , Qu, H.-Y., Wen, R.-T. , Niklasson, G.A. (2018). Electrochromic materials and devices for energy efficiency and human comfort in buildings: A critical review, Electrochimica Acta, Volume 259, p. 1170-1182, ISSN 0013-4686. online verfügbar
Houda, A., & Mohamed, D. (2018). Advanced Building Skins Inspired From Plants Adaptation Strategies to Environmental Stimuli: A Review. 2018 International Conference on Applied Smart Systems (ICASS), 1-7. online verfügbar
Hu, J., & Yu, X. (2018). Measurement of Wavelength and Temperature-Dependent Optical Properties of Thermochromic Pigments. Applied Spectroscopy, 72, 297-304. online verfügbar
Bar-Cohen, Y. (Hrg.) (2006). Smart Structures and Materials 2006: Electroactive Polymer Actuators and Devices (EAPAD). SPIE Press. online verfügbar
Uchino, K. (1997). Piezoelectric Actuators and Ultrasonic Motors. Springer. ISBN 978-0-7923-9811-0
Urban, M. W. (Hrg.). (2011). Handbook of stimuli-responsive materials. Wiley-VCH. ISBN 978-3527327003
Van Tittelboom, K., & De Belie, N. (2013). Self-healing in Cementitious Materials—A Review. Materials, 6(6), 2182-2217. online verfügbar
Yao, J., Hashimoto, K., & Fujishima, A. (1992). Photochromism induced in an electrolytically pretreated Mo03 thin film by visible light. Nature, 355, 624-626. online verfügbar
Zhang, J., Zou, Q., & Tian, H. (2013). Photochromic Materials: More Than Meets The Eye. Advanced Materials, 25. online verfügbar
Schlagwörter: Smart Materials, Materialwissenschaft, Nachhaltigkeit, Bauwirtschaft, Effizienz, intelligente Materialien, selbstheilender Beton, adaptive Gebäudestrukturen, Shape Memory Alloys.
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Smart Materials in der Bauwirtschaft – Ein Überblick [Blog-Beitrag]. 12.11.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar