Heute habe ich das Vergnügen, meinen langjährigen Kollegen und Freund Arnim Spengler zu interviewen. Arnim ist Forscher, Erfinder, Entwickler und Berater mit einer sehr breiten wie auch tiefen Expertise, beispielsweise in Building Information Modeling (BIM), Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik. Wir haben gemeinsam zahlreiche Forschungsprojekte durchgeführt, Publikationen veröffentlicht und Lehrgänge gehalten.
CK: Herzlich Willkommen, Arnim! Ich freue mich schon sehr auf unser Gespräch.
AS: Hallo, Christian. Es freut mich auch sehr, heute mit Dir über moderne digitale Methoden und Verfahren im Bauwesen zu sprechen.
CK: Arnim, lass uns direkt mit BIM beginnen. Wir beide wissen, wie revolutionär diese Methode für die Bauwirtschaft ist. Kannst du unseren Leserinnen und Lesern kurz erklären, was BIM ist und warum es so wichtig für die Branche ist?
AS: Sehr gerne. Also BIM, oder Building Information Modeling, ist eine digitale Methode und Prozess, um Informationen im Bauwesen zu teilen und zeigt den Weg auf, wie dieses geschehen kann.
Für mich geht BIM jedoch viel weiter. Das Modell bildet die Grundlage für Zukunftstechnologien, da erst durch das BIM Modell Bauwerksinformationen strukturiert vorliegen und somit für Computersysteme auswert- und verarbeitbar sind. Ich verstehe die Informationen im BIM Modell als Eigenschaften, wie es andere Informationen auch sind, wie zum Beispiel Materialien, Informationen für das Facility Management oder zusätzliche Informationen für den Einsatz von Robotik im Bauwesen.
CK: So betrachtet ist BIM ein wichtiger Ermöglicher für andere Innovationen im Bauwesen. Wir haben in unseren gemeinsamen Projekten ja auch gesehen, wie BIM die Kommunikation und Zusammenarbeit verbessert. Was siehst du als die größten Herausforderungen bei der Implementierung von BIM in der Bau- und Immobilienwirtschaft?
AS: Eine der größten Herausforderungen ist sicherlich die Akzeptanz und die Integration der Technologie in bestehende Arbeitsabläufe. Viele Unternehmen sind noch an traditionelle Methoden gewöhnt, und der Übergang zu digitalen Prozessen erfordert eine erhebliche Umstellung und Schulung. Das stellt die Unternehmen vor große Herausforderungen. Ich glaube, dass vielen Menschen bewusst ist, das BIM sozusagen der Anfang von vielen Veränderungen im Bauwesen sein kann.
CK: Das stimmt, die Umstellung kann in der Tat schwierig sein. In unseren Seminaren und Workshops haben wir oft über die Notwendigkeit von Weiterbildung gesprochen. Wie siehst du die Rolle der Bildungseinrichtungen in diesem Transformationsprozess?
AS: Bildungseinrichtungen spielen eine entscheidende Rolle, Christian. Sie müssen nicht nur technisches Wissen vermitteln, sondern auch die kulturelle Akzeptanz fördern. Das ist einer der Gründe, warum die Expertise und Zusammenarbeit verschiedener Akteure aus der Praxis und der Aus- und Weiterbildung so wichtig ist.
CK: Absolut. Nun, lass uns über Künstliche Intelligenz, kurz KI, sprechen. Wir sehen immer mehr, dass KI das Potenzial hat, die Bauwelt drastisch zu verändern. Gerade die Relevanz in der Lehre wird immer bedeutender, wie wir während der Bearbeitung unserer Projekt KI4Edu und DigiTeamsBau zunehmend feststellen. KI ist sowohl im Berufsfeld als auch in der Aus- und Weiterbildung angekommen. Wie siehst Du die Entwicklungen?
AS: Auch wenn das jetzt ein bisschen enthusiastisch klingen mag, sehe ich keinen Bereich, der sich durch KI und in naher Zukunft auch durch Robotik nicht drastisch verändern wird. Wenn du mich vor 5 Jahren gefragt hättest, wann man frei mit KI sprechen kann und wann KI anfängt eine wirklich ernst zu nehmende Unterstützung in beruflichen Alltagsaufgaben sein wird, hätte ich dir einen Horizont von 15 bis 20 Jahren genannt. Die rasante Entwicklung in den letzten 3 Jahren hat mich eines besseren belehrt. In meinem Arbeitsalltag sind LLMs [Anm.d.R. Large Language Model] bereits fest integriert. Dabei setze ich vor allem auf lokale Lösungen.
CK: Das erinnert mich an unsere gemeinsame Arbeit vor über sechs Jahren, wo wir mit dem agentenunterstützten Lernen in einem Online-Planspiel herumexperimentiert haben. Mit den heutigen Mitteln würden wir sicher einiges anders machen. Unabhängig davon, welche konkreten Anwendungsfälle siehst du als besonders vielversprechend bei der Nutzung von KI?
AS: Als vielversprechende Ansätze sehe ich mehrere Anwendungsfälle, beispielsweise die Unterstützung bei allen Arten von Standardtexten, die Erstellung von Leistungsbeschreibungen, die Arbeit mit Bauverträgen, das Zusammenfassen von Besprechungen oder auch einfach das Erlernen von neuem Wissen.
CK: Das klingt alles recht textbasiert. Siehst Du noch weitere Anwendungsfälle, die über die Textarbeit hinausgeht?
AS: Die gibt es auf jeden Fall. Es vergeht ja kaum ein Tag, wo man nicht Berichte liest über KI-gestützte Generatoren für Bild, Audio oder Video. Bei meiner eigenen Arbeit mit LLMs habe ich festgestellt, dass sogar die 3D Fähigkeiten der Systeme stetig zunehmen.
Als ich vor einem halben Jahr ein großes kommerzielles LLM nach der Erstellung eines einfachen Gartenhäuschens in Blender gefragt hatte, kamen nur wild verteilte geometrische Formen raus. Mittlerweile ist der Output bereits ein einfacher Entwurf eines Gartenhäuschens. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass LLMs zwar ein sehr populäres, jedoch nicht die einzige Form von KI sind. Big Data Analytics und die Steuerung von autonomen Robotern sind beispielsweise andere.
CK: Big Data Analytics und die Steuerung von autonomen Robotern sind in der Tat spannende Bereiche. In unserer Forschung haben wir ja auch den Einsatz von KI zur Optimierung von Bauprozessen untersucht. Unabhängig von Forschung und Labor, welche Herausforderungen siehst Du bei der Implementierung von KI in der Praxis?
AS: Eine große Herausforderung ist die Datenqualität. KI-Modelle sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert werden. Daher ist es sehr relevant, qualitativ hochwertige und gut strukturierte Daten zu haben. Das ist einer der Gründe, warum BIM so wichtig ist. BIM hilft ungemein dabei, strukturierte Daten zu haben.
Als weitere Herausforderung sehe ich in der Praxis den niedrigen Digitalisierungsgrad. Wir setzen im Bauwesen gerne auf Altbewährtes und das ist normalerweise gut so. BIM hat gezeigt, dass sich das Bauwesen sehr schwer tut, moderne digitale Methoden zu implementieren. Jetzt war BIM “nur” eine bauinterne Herausforderung. Es bestand bislang wenig Gefahr dass nicht Baukundige anfangen unsere Arbeit zu übernehmen. KI und Robotik ändern das nun zunehmend. Auf einmal ist es auch für Akteure, die keine oder nur wenig Erfahrung auf unserem Gebiet haben, möglich, im Bauwesen mit zu mischen. Das mag man gerade noch nicht spüren, aber die Fähigkeiten moderner LLMs sind enorm und sie potenzieren sich jedes Jahr. Dabei sind die großen LLMs noch nicht einmal speziell auf das Bauwesen trainiert. Zudem ziehen LLMs eine lange, ich nenne es mal, hypothetische Wertschöpfungskette hinter sich her. Durch LLMs ist der Mensch in der Lage sich schnell in neue Bereiche einzuarbeiten. Das sollten wir uns zu Nutze machen.
CK: Da sagst Du was ganz Wichtiges. Wir sollten uns das zu Nutze machen. Also mehr die positiven Potenziale sehen und nicht nur die Probleme und Hindernisse.
AS: Genau so. Mit LLMs sind wir in der Lage Aufgaben übernehmen zu lassen und schnell über Tellerränder zu schauen. Und wenn wir weiter denken, schafft die Systematik der Tiefen neuronalen Netze neben den LLMs auch andere Möglichkeiten wie z.B. bessere Robotersteuerungen.
CK: Das stimmt. Für die Robotik und Automatisierung sind LLMs ein wichtiger Technologieschritt, um Bauprozesse noch effizienter zu gestalten. Welche Fortschritte hast Du denn im Bereich der Robotik beobachtet?
AS: Es gibt viele spannende Entwicklungen, wie zum Beispiel Bauroboter, die autonom Mauern errichten oder Beton verarbeiten können. Diese Technologien haben das Potenzial, Bauzeiten erheblich zu verkürzen und die Sicherheit auf Baustellen zu erhöhen. In den letzten Jahren hat der Bereich des Contour Craftings, also das 3D Drucken von Gebäuden, unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Fast schon nebenbei hat der Lehrstuhl Mechatronik an der Universität Duisburg-Essen zusammen mit dem Kalksandsteinverband e.V. gezeigt, dass das automatisierte Mauern von großformatigen KS Steinen [Anm.d.R. KS = Kalksand] auch möglich ist.
CK: Du spielst in deiner Antwort auf unser Projekt an, bei dem wir an der Entwicklung des Mauerroboter Prototypen beteiligt waren. Magst Du uns darüber etwas mehr erzählen?
AS: Gerne! Wie Du weißt, haben wir damals viel Zeit investiert, um das Themenfeld Seilrobotik im Bauwesen zu eruieren. Damals haben Tobias Bruckmann von der Universität Duisburg-Essen, wir und der Kalksandsteinverband e.V. Fördergelder akquirieren können, um einen Roboter zum Mauern von Kalksandstein prototypisch umzusetzen. Und der Roboter ist groß geworden, richtig groß! Hierbei konnte ich viele interessante Einblicke in das Themenfeld Robotik im Allgemeinen gewinnen. [Anm.d.R. Ein Video zum Mauerroboter ist am Ende des Interviews zu finden.]
CK: Nicht nur groß, sondern auch rasend schnell.
AS: Oh ja, der Prototyp transportierte KS XL-Planelemente unter Laborbedingungen mit ca. 0,5 m/s. Wir haben ihn damals mit einer Maximalgeschwindigkeit von ca. 6,0 m/s laufen lassen.
CK: Nur um sich das mal vorzustellen: Ich müsste mit einem Stein, der fast 56 kg wiegt, mindestens 21 km/h schnell laufen. Und das mehrmals am Tag – unmöglich! In der Tat, der Mauerroboter der Universität Duisburg-Essen ist schon was besonderes. Du erinnerst Dich bestimmt auch noch an unsere gemeinsame RobotVETcon Studie, in der wir die Auswirkungen solcher Technologien untersucht haben.
AS: Na klar! Das war echt spannende. Nicht nur die Tatsache, dass sich das gesamte Baustellenlayout wie wir es kennen und wie es seit Jahrzehnten gelehrt wird verändert, sondern auch die Auswirkungen auf verschiedene Berufe wie Baugeräteführer, Maurer und Bauzeichner waren sehr erhellend. Ich erinnere mich noch gut daran, dass zu der Zeit der job-futuromat der ARD bei dem Berufsbild für Maurer noch 0% Automatisierbarkeit ausgab. Noch ein Zeichen dafür, wie schnell die Entwicklungen sind und wie agil wir darauf reagieren müssen. Und das gilt nicht nur bei dieser Art von Robotern.
CK: An welche Art von Roboter denkst Du dabei?
AS: Nun, Mauerroboter oder 3D-Druck haben in der Regel die Bauwerkserstellung im Fokus. Andere Robotersysteme wie die 4 beinigen Laufroboter, umgangssprachlich Roboterhunde genannt, werden immer wieder auf Messen gezeigt und auch einige Ingenieurbüros und Hochschulen haben welche beschafft. In Gesprächen war das Fazit immer wieder ernüchternd. Die Systeme können oft nicht so eingesetzt werden, wie es sich die Initiatorinnen und Initiatoren gedacht hatten.
Besonders interessant ist aktuell der Entwicklungssprung bei den humanoiden Robotersystemen. Das ist wirklich beeindruckend! Nach meiner Meinung sind erst die humanoiden Roboter in der Lage, viele Arbeiten auf der Baustelle automatisiert zu übernehmen. Der wesentliche Grund ist, dass die Baustelle, aber auch Bauwerke, auf den Menschen zugeschnitten sind. Und Robotersysteme müssen diesem Umstand Rechnung tragen.
CK: Das bedeutet, dass die Adaption auf die Arbeitsprozesse ein Hindernis bedeutet?
AS: Ja, so ist es. Deshalb ist es auch so wichtig erst die Prozesse, also die Arbeitsschritte und auch die Arbeitsergebnisse genau zu kennen, um darauf abgestimmt ein System auszuwählen. Und damit das funktioniert, muss auch tiefe Kenntnis über das Robotersystem selbst erlangt werden.
CK: Ich sehe da gerade das 3. Newtonsche Gesetz [lacht]. Arnim, sag mal, wo siehst Du noch weitere Hindernisse für die breite Akzeptanz von Robotik im Bauwesen?
AS: Die Kosten sind oft ein Hindernis. Während die Technologie selbst fortgeschritten ist, sind die Anfangsinvestitionen hoch. Außerdem gibt es Bedenken hinsichtlich der Arbeitsplätze, da viele befürchten, dass Roboter menschliche Arbeitskräfte ersetzen könnten. Diese Angst sehe ich vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels nicht. Übrigens auch nicht bei dem Einsatz von KI.
Bei einer Studienreise nach China ist mir aufgefallen, dass die Chinesen ganz anders mit moderner Technologie umgehen. Eher auf einem spielerischen Weg. Nur so kann man die wirklichen Einsatzbereiche und Grenzen von wirklich neuen Systemen herausfinden. Das gilt sowohl für Robotik als auch für KI. Dieses Denken ist uns fremd, wir wollen sofort den genauen Einsatzbereich kennen, sonst investieren wir nicht. Sicherlich stößt vielen auch der Begriff des spielerischen Wegs auf, den ich absichtlich verwendet habe. Dabei ist es bei so neuen Systemen unmöglich die genauen Fähigkeiten, Grenzen und das erforderliche Wissen über die Systeme zu kennen. Das ist eine Herausforderung, die uns ab sofort immer öfter begegnen wird. Die Gefahr, dass andere die Möglichkeiten früher erkennen und einsetzen, ist nicht von der Hand zu weisen.
Ich kenne viele Beispiele, wo ein Laufroboter angeschafft wurde und am Anfang war das Interesse groß. Dann sind die Roboter umgefallen, mussten programmiert werden oder es existierte eine falsche Vorstellung von den Fähigkeiten. In vielen Fällen stehen die Systeme jetzt einfach nur rum oder werden für Werbebildchen mißbraucht. Gerade in dieser Phase sollte spielerisch an den Roboter herangegangen werden. Man sollte ihn programmieren, mal etwas scannen oder transportieren lassen. Neue Firmware und Software aufspielen.
Dabei sind aktuell alle Robotersysteme eher zur partiellen Unterstützung des Menschen gedacht. Insbesondere in der Bauwirtschaft.
CK: Das sind in der Tat berechtigte Bedenken. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist es umso wichtiger, den Mehrwert und die ergänzende Rolle der Technologie zu betonen. Abschließend, Arnim, wo siehst du die Bau- und Immobilienwirtschaft in den nächsten zehn Jahren in Bezug auf BIM, KI und Robotik?
AS: Ich glaube, wir werden eine noch stärkere Integration dieser Technologien sehen. BIM wird der Standard für alle Bauprojekte sein, KI wird in den meisten Planungs- und Wartungsprozessen eingebettet sein, und Roboter werden Routineaufgaben auf Baustellen übernehmen. All das ist notwendig, um den Fachkräftemangel, steigende Effizienz, eine höhere Transparenz oder auch den neuen Denkweisen gerecht zu werden.
Ich vermute, dass wir in 10 Jahren immer mehr Roboter auf den Baustellen und in der Bewirtschaftung von Gebäuden sehen. Die Zunahme des KI-Einsatzes sehen wir schon heute. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es in 10 Jahren die ersten prototypischen Umsetzungen von weitgehend autonomen Baustellen und Gebäuden geben wird. Zudem werden die Teams in den Unternehmen immer kleiner, was nicht den neuen Technologien geschuldet ist, sondern eher am demografischen Wandel liegt. Und wenn zunehmend Roboter eingesetzt werden, wird auch das Handwerk für neue Generationen wieder spannender.
CK: Das klingt nach einer aufregenden Zukunft. Ich bin gespannt, was wir uns zu erzählen haben, wenn die 10 Jahre vorbei sind [lacht]. Vielen Dank, Arnim, für dieses aufschlussreiche Gespräch. Es war wie immer eine Freude, mit dir zu sprechen.
AS: Danke, Christian. Es war mir ein Vergnügen.
Video zum Mauerroboter der Universität Duisburg-Essen
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Schlagwörter: Building Information Modeling, Digitalisierung, digitale Transformation, Baurobotik, 3D-Druck, künstliche Intelligenz, Seilrobotik, KI4Edu, DigiTeamsBau
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Im Dialog: Arnim Spengler über BIM, KI und Robotik im Bauwesen [Blog-Beitrag]. 01.11.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar