Heute habe ich das Vergnügen mit Herrn Dr. Janko Petereit zu sprechen. Er ist Gruppenleiter für Autonome Robotersysteme am Fraunhofer IOSB und Koordinator des Kompetenzzentrums ROBDEKON. Was ROBDEKON genau ist und wie es bei potenziell gefährlichen Einsätzen helfen kann, erklärt uns Herr Dr. Petereit im Interview.
CK: Herr Dr. Petereit, was genau ist ROBDEKON?
JP: ROBDEKON steht für “Robotersysteme für die Dekontamination in menschenfeindlichen Umgebungen” und bündelt als Kompetenzzentrum bundesweit die einschlägige Robotik-Expertise aus Forschung und Industrie. Das Kompetenzzentrum ROBDEKON stattet Baumaschinen und Roboter mit Autonomiefähigkeiten aus – vorrangig, damit diese bei potenziell gefährlichen Einsätzen in menschenfeindlichen Umgebungen selbstständig agieren können, etwa bei der Sanierung von Altlasten oder dem Rückbau kerntechnischer Anlagen. Seit 2018 fördert uns das Bundesministerium für Bildung und Forschung, um neuartige Robotersysteme für Dekontaminationsaufgaben zu erforschen und zu entwickeln. Unsere Forschungsthemen sind hierbei mobile Roboter für unwegsames Gelände, autonome Baumaschinen, Robotermanipulatoren sowie Dekontaminationskonzepte, Planungsalgorithmen, multisensorielle 3D-Umgebungskartierung und die Teleoperation mittels Virtual Reality.
CK: Das klingt in der Tat sehr umfangreich. An wen richtet sich das Angebot von ROBDEKON?
JP: Baumaschinenhersteller und Anbieter von Assistenzsystemen können ihre Systeme mit unserer Technologie befähigen, autonom oder teilautonom zu agieren. Aber natürlich freuen wir uns auch über Kontakte zu potentiellen Endanwendern unserer Technologie, da wir voneinander viel lernen können. Wir entwickeln Robotersysteme für drei konkrete Anwendungsfelder: Die Dekontamination kerntechnischer Anlagen, die Sanierung von Altlasten und Deponien und die Bergung von Gefahrstoffen. Die Robotersysteme von ROBDEKON können somit überall dort eingesetzt werden, wo ein unwegsames oder verseuchtes Gelände vorliegt und ein Personeneinsatz potentiell gesundheitsgefährdend oder aus sonstigen Gründen nicht wünschenswert ist.
CK: Bei dieser Vielfalt an Aufgaben nutzen Sie wahrscheinlich auch ein umfassendes Arsenal an Technologien. Ohne jetzt große Geheimnisse preis zu geben, können Sie uns sagen, welche Robotertechnologien verwendet oder auch entwickelt werden?
JP: Die Frage ist schon in Ordnung. So streng geheim arbeiten wir ja nicht [lacht]. Grundsätzlich können wir drei Bereiche unterscheiden.
Der erste ist autonomes Fahren und Erkunden in unstrukturierter Umgebung, um beispielsweise Strahlung zu messen. Gemäß den genannten Anwendungsfeldern entwickeln wir erstens Robotersysteme, die für Dekontaminationsaufgaben autonom das Gelände befahren, die Umgebung scannen und kartieren und anhand einer 3D-Punktwolke ein zuverlässiges Bild der erfassten Umgebung übermitteln. Die Erkundungssysteme erkennen dabei Hindernisse auf ihrem Weg und melden diese an mögliche weitere andere Einsatzfahrzeuge zur Umgehung. Auch die Messung der radioaktiven Ortsdosisleistung, kurz ODL, ist möglich.
Ein anderer Bereich ist das Greifen von kontaminierten Objekten wie auch das Dekontaminieren und Abtransportieren. Hier geht es um das sichere Greifen und Hantieren mit potentiell kontaminierten Objekten. Wir können auch Bagger dazu befähigen, dass sie autonom Fässer oder andere Objekte greifen, Bodenschichten abtragen oder ein – ebenfalls autonomes – Transportfahrzeug beschicken. Eine spezielle Fräse kann kontaminierte Betonflächen in kerntechnischen Anlagen abtragen. Und für alle Aufgaben, die die Technik – noch – nicht autonom erledigen kann, können Baumaschinen aus unseren Leitständen ferngesteuert werden – wenn nötig über hunderte Kilometer hinweg.

Der dritte Bereich, mit dem wir uns beschäftigen ist das Erkennen und Bergen von gefährlichen Objekten. Um Gefahrstoffe zu bergen, entwickeln wir Systeme, die mithilfe von Laufrobotern das Gelände autonom ablaufen und gefährliche Objekte detektieren und einsammeln.
CK: Das klingt so, als hätten Sie für jeden schwierigen Einsatz ein geeignetes Robotersystem parat?
JP: In den genannten Fällen im Prinzip schon. Wobei in praktischen Anwendungen oft ein Zusammenspiel dieser Fähigkeiten gefragt ist, deshalb ist die Zusammenarbeit der Robotersysteme eine zentrale Aufgabe von ROBDEKON. Die Roboter sollen auch gebündelt eingesetzt werden können und untereinander sowie mit anderen Systemen kommunizieren. Wir möchten Technologien anbieten, die eine komplett automatisierte Dekontaminationskette ermöglichen. Diese kollaborative Robotik ist für uns derzeit verstärkt im Fokus und deshalb auch ein Thema, auf das wir auf unserer Partizipationsveranstaltung am 23. und 24. Oktober in Bremen eingehen werden, wo das Fachpublikum unsere Technologien erleben und selbst ausprobieren kann.
CK: Unabhängig von den oben genannten potenziell gefährlichen Einsätzen, welche Evolution bringt ROBDEKON speziell für die Baubranche?
JP: Die Automatisierung von Baumaschinen ist natürlich über die von ROBDEKON fokussierten Einsatzszenarien hinaus relevant. In diesem Jahr haben wir unseren autonomen Bagger als Praxistest in einem Steinbruch eingesetzt und dabei Daten in einer komplexen Umgebung gesammelt. Der Bagger hat autonom, ohne Fahrer, einen Brecher mit Steinen beschickt. So konnten wir nicht nur wertvolle Erkenntnisse sammeln, um die Systemrobustheit in realen Einsatzbedingungen zu bewerten, sondern haben auch gezeigt, dass autonome Technologien auch in der Bau- und Bergbauindustrie implementiert werden können. Daraus ergeben sich große Potenziale für die Sicherheit und Effizienz der Arbeitsprozesse.
Weitere Systeme, die die Baubranche unterstützen können, sind der Fräsroboter, autonome Transportsysteme oder unsere Leitstände zur Ausführung ferngesteuerter Aufgaben. So konnten Besucher der Hannover Messe dieses Jahr unseren über 250 km entfernt stehenden Stapler MATS live fernsteuern und eine Ladung transportieren.

Grundsätzlich ermöglicht die zunehmende Automatisierung auf dem Bau, wiederkehrende Aufgaben schnell und zuverlässig auszuführen, ohne dass jedes einzelne System permanent von einem Menschen gesteuert werden muss. Vor allem in Zeiten von Fachkräftemangel eine wichtige Perspektive. Aber auch da, wo weiterhin ein Mensch im Führerhaus sitzt, eröffnen sich neue Möglichkeiten, etwa hinsichtlich funktionaler Sicherheit: Wenn der Bagger über ein digitales Geländemodell verfügt und seine Position genau kennt, dann kann er den Bediener zum Beispiel warnen, bevor er versehentlich eine wichtige Versorgungs- oder Datenleitung im Boden beschädigt.
CK: Das sind in der Tat sehr relevante Anwendungsszenarien. Aktuell ist ja das Thema KI in aller Munde. Spielt KI bei alledem auch eine Rolle?
JP: Eine sehr grundlegende. KI ist ja viel mehr als der aktuelle Hype um Chatbots: Methoden der künstlichen Intelligenz sind immer die Basis, wenn Roboter zugewiesene Aufgaben autonom oder teilautonom ausführen. Mithilfe von verschiedenen intelligenten Algorithmen für die Lokalisierung und Kartierung sowie Hinderniserkennung und Bewegungsplanung können sich die Robotersysteme selbstständig auf unbekanntem Gelände fortbewegen und Aufgaben ausführen – oder feststellen, dass an einer bestimmten Stelle eben doch die Intervention eines Menschen erforderlich ist. Dank KI können Einsätze also letztlich schneller, sicherer und mit geringerem Kostenaufwand durchgeführt werden. Das Fachpersonal wird von monotonen und repetitiven Aufgaben entlastet und vor Unfallrisiken und Gesundheitsgefahren geschützt, wenn man an schwer zugängliche und gefährliche Umgebungen denkt.
CK: Das klang bisher alles sehr positiv und vielversprechend. Lassen Sie uns auch mal einen ehrlichen Blick auf aktuelle Herausforderungen werfen, die noch gestemmt werden müssen.
JP: Die Systeme laufen seit dem Ende der ersten Förderphase 2022 grundsätzlich stabil. Jetzt sind wir dabei, die entwickelten Technologien in realen Einsatzszenarien in Pilotprojekten einzusetzen und weiter zu optimieren. Dazu braucht es viele Daten, denn zusätzliche Trainingsdaten festigen die Robustheit der Systeme. Letztlich werden die Robotersysteme immer schneller in ihrer Ausführung der Aufgaben, da sie mit jedem Training lernen, welche Manöver erfolgreich waren, und diese wiederholen können.
CK: Das heißt, die stete Optimierung und Verbesserung in realen Projekten gehört zu den geplanten Entwicklungen in ROBDEKON?
JP: Genau das. Der Fokus liegt ganz klar darauf, unsere Ergebnisse im realen Umfeld in Pilotprojekten anzuwenden. Interessenten, die unsere Technologien testen möchten, können gern Kontakt mit uns aufnehmen. Das Fraunhofer IOSB wird außerdem durch seine Beteiligung im neuen Robotics Institute Germany die KI-basierte Großraumrobotik auch für andere Einsatzszenarien vorantreiben. Dabei werden autonome Baumaschinen, Landwirtschaftsroboter und andere schwere Arbeitsmaschinen trainiert, eigenständig komplexe Aufgaben auszuführen. Als Kompetenzzentrum ROBDEKON sind wir außerdem daran, die in den beiden Förderphasen aufgebaute Expertise auch langfristig verfügbar zu machen: Wir befinden uns auf dem Weg der Verstetigung in Form einer Vereinsgründung, sodass ROBDEKON auch über die BMBF-Förderung hinaus als zentrale Anlaufstelle für technologische Fragestellungen rund um Dekontaminationsaufgaben bestehen wird.
CK: Ich bin ein haptisch veranlagter Mensch. Wahrscheinlich auch ein Grund, warum ich Bauingenieur geworden bin. Findet das alles nur im Labor statt oder kann ich als interessierter Mensch mir das auch mal anschauen?
JP: Ja klar, das geht. Wie ich bereits gesagt habe, kann ein interessiertes Fachpublikum am 23. bis 24. Oktober die in ROBDEKON entwickelten Demonstrationssysteme bei einer Partizipationsveranstaltung am DFKI in Bremen erleben. Und das ist nicht nur anschauen, sondern auch selber steuern und sich in Fachvorträgen informieren und austauschen.
CK: Das klingt doch nach einer tollen Einladung. Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Dr. Petereit und weiterhin viel Erfolg. Ich werde ROBDEKON auf jeden Fall im Auge behalten.
JP: Sehr gerne. Und ich hoffe wir sehen uns in Bremen.
Weiterführende Informationen:
- Zur Partizipationsveranstaltung 2024: https://robdekon.de/aktuelles/news/partizipationsveranstaltung-2024
- Webseite von ROBDEKON: https://robdekon.de/
- ROBDEKON Konsortium: https://robdekon.de/ueber-uns/konsortium
Imagevideo von ROBDEKON
Schlagwörter: Digitale Transformation, Robotik, Fraunhofer, ROBDEKON, Katastrophenschutz, Dekontamination, autonome Baumaschinen
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Im Dialog: Dr. Petereit über autonome Technologien und Robotik [Blog-Beitrag]. 11.10.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar