Cyber-Physical Systems (CPS) sind komplexe Systeme, die physische Prozesse mit softwaregesteuerten Algorithmen kombinieren und die Interaktion zwischen Mensch und System in den Vordergrund stellen. Diese Systeme bestehen aus einer Vielzahl von Komponenten, einschließlich Sensoren, Aktuatoren und Netzwerken, die Echtzeitdaten erfassen, analysieren und verarbeiten. Ohne den Begriff explizit zu verwenden haben wir bereits über solche Systeme gesprochen, wie z.B. im Kontext von Smart Cities (siehe Beitrag Smart City: Mit Digitalisierung in eine nachhaltige Zukunft). In der Bau- und Immobilienwirtschaft ermöglichen CPS eine verbesserte Steuerung von Gebäudefunktionen, was zu einer höheren Effizienz, Sicherheit und Nachhaltigkeit führt. Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen (ML) erweitert die Fähigkeiten solcher Systeme, indem sie fortlaufend aus Daten lernen und sich an veränderte Bedingungen anpassen.
Die menschliche Dimension in CPS
Ein zentrales Element in der aktuellen Entwicklung von CPS ist die Nutzerzentrierung, was den Begriff der Human-Centered Cyber-Physical Systems (HC-CPS) zunehmend geprägt hat. Die Nutzerzentrierung sorgt dafür, dass die Technologie nicht nur leistungsfähig, sondern auch intuitiv und benutzerfreundlich ist. Die Bedeutung von User Experience (UX) und Interaktionsdesign kann nicht überschätzt werden, da der Erfolg von CPS im Wesentlichen davon abhängt, wie gut die Endnutzenden mit dem System interagieren können und auch wollen. Das erfordert eine sorgfältige Gestaltung der Benutzeroberflächen und die Einbindung von Echtzeit-Feedbackmechanismen, die es ermöglichen, sofort auf die Anforderungen der Nutzer zu reagieren (Schmitt et al., 2018).
Zur Verdeutlichung eine kurze Gegenüberstellung von Cyber-Physical Systems (CPS) und Human-Centered Cyber-Physical Systems (HC-CPS).
Aspekt | Cyber-Physical Systems (CPS) | Human-Centered Cyber-Physical Systems (HC-CPS) |
---|---|---|
Zielsetzung | Integration physischer Prozesse mit digitalen Systemen | Fokus auf Nutzerfreundlichkeit und menschliche Interaktion |
Fokus | Technische Funktionalität und Effizienz | Benutzererfahrung und Anpassung an menschliche Bedürfnisse |
Nutzerinteraktion | Kann begrenzt sein | Im Mittelpunkt, mit Echtzeitanpassungen an Nutzerbedürfnisse |
Entwicklungsansatz | Technisch und systemorientiert | Nutzerzentriert, interaktionsorientiert |
Anwendungsbereiche | Industrie, Automatisierung, Smart Grids | Gebäude- und Arbeitsplatzgestaltung, Nutzerkomfort |
Beispiel | Automatisierte Produktionsanlagen | Intelligente Gebäude, die auf Nutzerpräferenzen reagieren |
Im Folgenden werde ich der Einfachheit halber keine explizite Unterscheidung und Diskussion zwischen den Begriffen CPS und HC-CPS machen.
Anwendungsbereiche in der Bau- und Immobilienwirtschaft
Cyber-Physical Systems finden in verschiedenen Bereichen der Bau- und Immobilienwirtschaft Anwendung. Eines der Einsatzgebiete ist das intelligente Gebäudemanagement, bei dem durch die Echtzeitüberwachung von Funktionen wie Energieverbrauch, Beleuchtung und Klimatisierung eine effizientere Nutzung ermöglicht wird (siehe dazu auch den Beitrag Proptech und der Einfluss auf die Immobilienwirtschaft). Diese Systeme tragen nicht nur zur Kostensenkung bei, sondern auch zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks von Gebäuden. Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld ist das Sicherheitsmanagement, wo CPS genutzt werden, um Sicherheitsrisiken zu erkennen und proaktive Maßnahmen zu ergreifen, bevor es zu Zwischenfällen kommt (Wang, Pan & Luo, 2019).
Technologien und Werkzeuge
Die technologische Grundlage von CPS bildet das Internet der Dinge (IoT), das eine nahtlose Vernetzung und Kommunikation zwischen physischen Geräten ermöglicht. Diese Geräte sind in der Lage, große Mengen an Daten in Echtzeit zu erfassen und zu analysieren, was eine schnelle und präzise Entscheidungsfindung unterstützt. Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML) spielen eine weitere Rolle bei der Interpretation dieser Daten und der automatisierten Optimierung von Systemen. Darüber hinaus werden Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) genutzt, um interaktive und immersive Umgebungen zu schaffen, die sowohl die Planung als auch die Durchführung von Bauprojekten erleichtern (Lu & Olofsson, 2014).
Vorteile und Herausforderungen von CPS
Zu den Hauptvorteilen von CPS zählen die erhöhte Effizienz, Sicherheit und Nachhaltigkeit, die durch den Einsatz dieser Systeme in Bauprojekten erreicht werden können. Die Fähigkeit von CPS, in Echtzeit auf Veränderungen zu reagieren, ermöglicht eine dynamische Optimierung von Prozessen und trägt dazu bei, Ressourcen effizienter zu nutzen und die Sicherheit zu erhöhen. Die Nachhaltigkeit wird durch eine verbesserte Energieeffizienz und die Möglichkeit, Umweltbelastungen zu reduzieren, unterstützt (Zhou et al., 2020).
Dennoch gibt es auch Herausforderungen bei der Implementierung von CPS. Datenschutz und Datensicherheit sind besonders kritisch, da vernetzte Systeme anfällig für Cyberangriffe sein können. Zudem stellt die Integration von CPS in bestehende Infrastrukturen oft eine Herausforderung dar, da diese Systeme in der Regel komplex und schwer anzupassen sind. Die Akzeptanz durch die Nutzerinnen und Nutzer ist ein weiterer Faktor, da der Erfolg von CPS im Wesentlichen davon abhängt, wie gut die Endnutzer mit den Systemen interagieren und wie sehr sie bereit sind, die neuen Technologien zu nutzen (Neema et al., 2018).
Pilotprojekte zur Implementierung von Cyber-Physical Systems
Zur Verdeutlichung der Implementierung stelle ich Ihnen exemplarisch vier Pilotprojekte vor.
Pilotprojekt 1: Integration von Cyber-Physical Systems in die Gebäudeverwaltung
Das erste Pilotprojekt, durchgeführt von Akanmu und Anumba (2015), fokussierte sich auf die Integration von Cyber-Physical Systems (CPS) mit Building Information Modeling (BIM). Ziel dieses Projekts war es, die Effizienz in der Projektverwaltung durch eine bidirektionale Koordination zwischen virtuellen BIM-Modellen und der physischen Bauausführung zu erhöhen. Dabei wurden physische Baukomponenten und ihre digitalen Replikate in Echtzeit miteinander verknüpft, was es ermöglichte, dass Anpassungen während der Bauausführung schneller und präziser durchgeführt werden konnten.
Im Projekt wurde Sensorik und andere CPS-Technologie eingesetzt, um Daten in Echtzeit zu erfassen und direkt in das BIM-Modell zu integrieren. Dies ermöglichte es Bauleiterinnen und Bauleitern, auf unvorhergesehene Ereignisse oder Probleme sofort zu reagieren. Die Ergebnisse des Projekts zeigten, dass durch die Integration von CPS mit BIM nicht nur die Effizienz und Genauigkeit der Bauausführung erheblich gesteigert werden konnten, sondern auch die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Beteiligten verbessert wurde. Dies führte zu einer Reduzierung von Fehlern und Nacharbeiten, wodurch letztlich Baukosten gesenkt und die Bauzeit verkürzt werden konnten (Akanmu & Anumba, 2015).
Pilotprojekt 2: Reduzierung des Integrationsaufwands für Cyber-Physical Systems
Das zweite Pilotprojekt, geleitet von Schmitt, Grüner und Braun (2018), hatte das Ziel, den Integrationsaufwand für CPS in bestehende IT-Systeme zu reduzieren. Da die Integration von CPS in bestehende Systeme oft mit hohem manuellen Aufwand verbunden ist, entwickelten die Forscher eine Methode zur automatisierten Integration von CPS mithilfe von annotiertem Anwendungscode.
In diesem Projekt wurde ein Ansatz erprobt, der es ermöglichte, Anwendungslogik und Informationsmodelle durch semantisch angereicherte Informationsmodelle zu integrieren. Der Einsatz von annotiertem Code reduzierte den Bedarf an zusätzlicher manueller Programmierarbeit erheblich. Die Ergebnisse zeigten, dass dieser Ansatz nicht nur den Integrationsaufwand signifikant verringerte, sondern auch die Zuverlässigkeit und Wartbarkeit der integrierten Systeme verbesserte. Dadurch wurde die Flexibilität der Systeme erhöht, was eine einfachere Anpassung an zukünftige Anforderungen ermöglichte (Schmitt et al., 2018).
Pilotprojekt 3: Cyber-Physical Systems für das Bauwesen
Das dritte Pilotprojekt, durchgeführt von Anumba, Akanmu und ihren Kollegen im Jahr 2020, konzentrierte sich auf die Entwicklung und Implementierung von CPS speziell für das Bauwesen. Dieses Projekt zielte darauf ab, die bidirektionale Konsistenz zwischen physischen Baukomponenten und ihren digitalen Replikaten sicherzustellen. Zu den praktischen Anwendungen gehörten die Platzierung und das Tracking von Bauelementen, die Überwachung temporärer Strukturen sowie die Sicherheit bei der Nutzung von mobilen Kränen.
Durch die Entwicklung von Prototypen und deren Test in realen Bauprojekten zeigte das Projekt, dass CPS erheblich zur Verbesserung der Bauausführung beitragen können. Die Echtzeitüberwachung und Steuerung von Baufortschritten führte zu einer Reduzierung von Fehlern und Nacharbeiten, was letztlich die Effizienz der Bauausführung steigerte und zu Kosteneinsparungen führte. Darüber hinaus förderten die entwickelten CPS-Systeme die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren im Bauprozess, da alle Beteiligten stets Zugang zu aktuellen, konsistenten Daten hatten (Anumba et al., 2020).
Pilotprojekt 4: Verwendung von Cyber-Physical Systems für die Mengenprüfung und Kostenkontrolle
Das vierte Pilotprojekt, durchgeführt von Weerasooriya und Kollegen im Jahr 2021, untersuchte die spezifische Anwendung von CPS zur Unterstützung der Mengenprüfung (Quantity Surveyors). Das Projekt zielte darauf ab, die Arbeitsabläufe durch die Integration von CPS effizienter zu gestalten.
Durch qualitative Interviews mit Experten der Bauindustrie identifizierte das Projekt bestehende CPS-Technologien und untersuchte deren potenzielle Anwendungen im Bereich der Mengenprüfung. Die Integration von CPS ermöglichte eine präzisere und effizientere Kostenkontrolle, indem physische Bauumgebungen mit digitalen Informationssystemen verknüpft wurden. Das führte zu einer verbesserten Transparenz und Genauigkeit bei der Überwachung der Baukosten, was die Projektsteuerung und Entscheidungsfindung insgesamt optimierte (Weerasooriya et al., 2021).
Gegenüberstellung der Pilotprojekte
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht der wichtigsten Merkmale, Technologien, Ergebnisse und Herausforderungen der vier Pilotprojekte im Zusammenhang mit Cyber-Physical Systems (CPS).
Aspekt | Pilotprojekt 1: Integration von CPS in Gebäudeverwaltung | Pilotprojekt 2: Reduzierung des Integrationsaufwands für CPS | Pilotprojekt 3: CPS für das Bauwesen | Pilotprojekt 4: CPS für Mengenprüfung und Kostenkontrolle |
---|---|---|---|---|
Zielsetzung | Effizienzsteigerung durch Integration von CPS und BIM | Reduzierung des Integrationsaufwands durch automatisierte Methoden | Verbesserung der Bauausführung durch bidirektionale Konsistenz | Verbesserung der Kostenkontrolle durch Integration von CPS |
Technologieeinsatz | Sensorik, Echtzeitdatenintegration in BIM | Annotierter Anwendungscode zur Integration | Prototypen, Echtzeitüberwachung und -steuerung von Bauprozessen | CPS zur präzisen Überwachung von Baukosten und Mengen |
Ergebnisse | Erhöhte Effizienz, Reduzierung von Fehlern und Nacharbeiten | Signifikant verringerter Integrationsaufwand, höhere Flexibilität | Effizienzsteigerung, Kostensenkung, verbesserte Zusammenarbeit | Verbesserte Transparenz und Genauigkeit bei der Kostenkontrolle |
Herausforderungen | Integration in bestehende Prozesse, Echtzeitreaktion | Reduzierung manueller Arbeit bei der Integration | Sicherstellung der Konsistenz zwischen physischen und digitalen Komponenten | Anpassung an spezifische Anforderungen der Mengenprüfung |
Praktische Anwendungen | Echtzeit-Anpassungen während der Bauausführung | Integration in bestehende IT-Systeme | Platzierung und Tracking von Bauelementen, Sicherheit bei mobilen Kränen | Mengenprüfung, Kostenkontrolle im Bauwesen |
Und nun?
Cyber-Physical Systems haben das Potenzial, die Bau- und Immobilienwirtschaft zu bereichern, indem sie Effizienz, Sicherheit und Nachhaltigkeit verbessern. Die zukünftige Entwicklung wird jedoch davon abhängen, wie gut CPS in bestehende Systeme integriert werden können und wie bereit die Nutzerinnen und Nutzer sind, die neuen Technologien zu akzeptieren (siehe dazu auch der Beitrag 7 Wege zur Akzeptanz von digitalen Lösungen). Um das volle Potenzial von CPS auszuschöpfen, wird es zunehmend wichtiger, dass die Entwicklung und Implementierung unter konsequenter Berücksichtigung der Anwenderbedürfnisse erfolgt (Stichwort HC-CPS).
Anhand der vier Pilotprojekte zeigen sich die vielfältigen Anwendungen von CPS in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Während das erste und dritte Projekt die Effizienz und Sicherheit bei der Bauausführung durch Echtzeitüberwachung und Echtzeitsteuerung verbesserten, fokussierten sich das zweite und vierte Projekt auf die Reduzierung des Integrationsaufwands und die Verbesserung der Mengen- und Kostenkontrolle. Gemeinsam zeigen diese Projekte, wie CPS zur Optimierung von Bauprozessen beitragen können, indem sie physische und digitale Systeme effektiv zusammenbringen und so zu einer sichereren, effizienteren und wirtschaftlicheren Bauwirtschaft führen können.
Die Zeiten sind vorbei, in denen das Bauwesen nur “Öl und Dreck” war. So wie sich die Automobilwirtschaft von einem eher mechanisch geprägten Wirtschaftsbereich zu einem technologisch anspruchsvollen Bereich entwickelt hat, so macht sich die Bauwirtschaft (endlich!) auch auf den Weg, ein hochinnovatives und digital vernetztes Feld zu werden, in dem moderne Technologien eine zentrale Rolle spielen.
Und was heißt das jetzt für uns? Es bedeutet, dass wir die Chance haben, die Bauwirtschaft in eine neue Ära zu führen. Indem wir die neuesten Technologien und Innovationen nutzen, können wir nicht nur die Effizienz und Nachhaltigkeit steigern, sondern auch das Image der Bauwirtschaft auf ein neues Level heben. Jetzt ist der Moment, um unser Branchenimage zu verbessern und die Zukunft aktiv mitzugestalten. Packen wir es gemeinsam an!
Quellenverzeichnis
Akanmu, A., & Anumba, C. (2015). Cyber-physical systems integration of building information models and the physical construction. Engineering, Construction and Architectural Management, 22(5), 516-535. online
Anumba, C., Akanmu, A., Yuan, X., & Kan, C. (2020). Cyber-physical systems development for construction applications. Frontiers of Engineering Management, 8(1), 72-87. online
Schmitt, J. O., Grüner, S., & Braun, R. (2018). Reducing integration effort for cyber-physical systems through integrated information modelling using annotated application code. Proceedings of the 2018 14th IEEE International Workshop on Factory Communication Systems (WFCS), 1-9. online
Wang, H., Pan, Y., & Luo, X. (2019). Integration of BIM and GIS in sustainable built environment: A review and bibliometric analysis. Automation in Construction. online
Weerasooriya, A., Perera, B., Gallage, S., & Disaratna, P. (2021). Use of cyber–physical systems for the key roles of quantity surveyors. 14th International Research Conference – FARU 2021. online
Lu, W., & Olofsson, T. (2014). Building information modeling and discrete event simulation: Towards an integrated framework. Automation in Construction, 44, 73-83. online
Neema, H., Potteiger, B., Koutsoukos, X., Karsai, G., Völgyesi, P., & Sztipanovits, J. (2018). Integrated simulation testbed for security and resilience of CPS. Proceedings of the 33rd Annual ACM Symposium on Applied Computing. online
Zhou, Z., & Lin, Y. (2020). An integrated design framework for industrialized building systems. Journal of Building Performance. online
Schlagwörter: Cyber-Physical Systems, CPS, Nutzerzentrierung, Human-Centered Cyber-Physical Systems, HC-CPS, Internet of Things, Building Information Modeling, Künstliche Intelligenz, Echtzeitüberwachung
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Cyber-Physical Systems im Bauwesen [Blog-Beitrag]. 05.09.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar