Katastrophenschutz 4.0: Die Rolle von KI und Big Data

In einer Zeit, in der Naturkatastrophen und klimatische Extremereignisse zunehmend häufiger auftreten, steht der Katastrophenschutz vor neuen Herausforderungen. Im Beitrag Einfluss der Digitalisierung auf den Katastrophenschutz habe ich bereits einen Überblick gegeben, wie Digitalisierung auch im Bereich des Katastrophenschutzes neue Möglichkeiten zur Risikominderung und effizienten Krisenbewältigung eröffnet.

Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data können dabei zentrale Werkzeuge sein, welche den traditionellen Katastrophenschutz weiterentwickeln können. Durch die Kombination dieser Technologien können präzisere Vorhersagen getroffen, schneller auf Notfälle reagiert und die Infrastruktur effektiver überwacht werden. In diesem Beitrag werde ich konkrete Beispiele vorstellen wie KI uind Big Data nutzbringend im Katastrophenschutz und zur Katastrophenbewältigung eingesetzt werden können.

SeismicAI: Frühwarnsystem für Erdbeben

Meiner Ansicht nach ist SeismicAI eines der beeindruckendsten Projekte im Bereich der Erdbebenvorhersage. SeismicAI nutzt künstliche Intelligenz zur Erkennung und Frühwarnung von Erdbeben. Durch die Analyse seismischer Daten kann das System präzise Vorhersagen über die Lage und Stärke von Erdbeben treffen. Dieses Projekt hat gezeigt, dass durch frühzeitige Warnungen nicht-strukturelle Schäden um bis zu 50 % reduziert werden können, was erhebliche finanzielle Einsparungen bedeutet und Menschenleben rettet.

Das System wurde weltweit in verschiedenen Ländern erfolgreich getestet und implementiert, darunter Kanada, die Türkei und Israel. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Erkennung eines Erdbebens der Stärke 5,2 in der Nähe von Bursa, Türkei, mit nur zwei Stationen. In Kanada konnte ein Erdbeben der Stärke 3,4 in weniger als drei Sekunden nach seinem Ursprung lokalisiert werden, was die Effizienz und Genauigkeit der Technologie unterstreicht (weitere Details siehe hier).

RescueAI: Innovatives Katastrophenmanagement

Ein weiteres Projekt ist RescueAI, das von der Asia Pacific University of Technology & Innovation (APU) entwickelt wurde. RescueAI adressiert die Herausforderungen durch klimainduzierte Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen und Hitzewellen. Das System nutzt eine 3D-Digital-Twin-Modellierung zur präzisen Simulation von Katastrophenszenarien. Dazu werden Drohnen genutzt, welche Echtzeitdaten sammeln und das Modell kontinuierlich aktualisieren. Das ermöglicht eine genaue Vorhersage der Ausbreitung und Auswirkungen von Überschwemmungen und Bränden.

Zusätzlich verfügt RescueAI über eine mobile App, welche KI-gestützte Erkennungs- und Alarmfunktionen bietet. Diese App ermöglicht eine schnellere und effizientere Meldung von Katastrophen, was die Reaktionszeit erheblich verkürzt und die Koordination der Rettungsmaßnahmen verbessert. Das Projekt hat internationale Anerkennung gefunden und mehrere Auszeichnungen gewonnen, darunter eine Goldmedaille beim 12. World Invention Competition.

SmartBridge: Intelligente Brückenüberwachung

Das SmartBridge-Projekt in den Niederlanden und Hamburg ist ein weiteres Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von KI und Big Data im Katastrophenmanagement. In den Niederlanden wurde das Projekt vom Brunel Innovation Centre und Innvotek entwickelt und von Innovate UK gefördert. Ziel des Projekts ist die Verbesserung der Überwachung und Wartung von Brückeninfrastrukturen durch eine digitale Plattform, die den Zustand und die Abnutzung von Brücken visualisiert. Diese Plattform ermöglicht es, den Lebenszyklus von Brücken zu analysieren und präventive Wartungsmaßnahmen zu ergreifen, bevor Schäden auftreten.

In Hamburg wurde die Köhlbrandbrücke mit über 500 Sensoren ausgestattet, die in Echtzeit Daten sammeln (siehe hier). Diese Daten werden in einem digitalen Zwilling der Brücke visualisiert, der eine kontinuierliche Zustandsüberwachung ermöglicht. Durch die Kombination traditioneller Inspektionsmethoden mit digitalen Diagnosen können Wartungsarbeiten präziser und kosteneffizienter durchgeführt werden. Dies erhöht die Lebensdauer der Infrastruktur und reduziert sowohl die Betriebskosten als auch die CO2-Emissionen.

FireAId: Wildfire Prevention

Künstliche Intelligenz spielt auch eine wichtige Rolle bei der Prävention und Bekämpfung von Waldbränden, die in den letzten Jahren an Häufigkeit und Intensität zugenommen haben. KI-gestützte Systeme verwenden Drohnen oder Satelliten, welche mit speziellen Algorithmen ausgestattet sind, um Wälder auf potenzielle Zündquellen wie Blitzeinschläge oder Lagerfeuer zu überwachen. Diese Systeme analysieren kontinuierlich Wetterdaten, um die Wahrscheinlichkeit und das Ausbreitungsverhalten von Bränden vorherzusagen. Das ermöglicht es Feuerwehrleuten, strategisch zu planen und ihre Einsätze besser zu koordinieren.

Ein Beispiel für den Einsatz von KI in der Waldbrandprävention ist das FireAId-Projekt des World Economic Forum. Dieses Projekt nutzt KI, um eine dynamische Risikokarte zu erstellen, die optimierte Ressourcenzuweisungen und Reaktionspläne für Waldbrände ermöglicht. Die Plattform integriert Daten aus digitalen Karten, Satellitenbildern, Echtzeit-Wetterdaten, Sensorennetzwerken und sozialen Netzwerken, um umfassende und präzise Vorhersagen zu liefern. Dies trägt dazu bei, die Reaktionszeit zu verkürzen und die Effizienz der Brandbekämpfung zu erhöhen.

OroraTech: Waldbranderkennung

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von KI in der Waldbranderkennung bietet OroraTech. Deren System fahndet mit Satelliten nach Waldbränden. Die KI-gestützte Software und eine eigene Satellitenkonstellation, die das Start-up aufbaut, analysieren Satellitenbilder in Echtzeit, um Brände frühzeitig zu erkennen und schnelle Reaktionen zu ermöglichen. Griechenland gehört im Übrigen zu einem der ersten Länder, die das System flächendeckend implementieren werden (siehe hier).

ARTION: Erdbeben- und Tsunami-Frühwarnsysteme

KI kann die Erkennung von Erdbeben und die Tsunami-Warnung erheblich verbessern, indem sie geologische Daten aus verschiedenen Forschungszentren weltweit nutzt. Die Integration von Multi-Sensor-Daten, einschließlich seismischer und geospatialer Informationen, ermöglicht es KI-Systemen, Erdbeben frühzeitig zu erkennen und präzise Tsunami-Warnungen auszugeben.

Ein Beispiel ist das EU-Projekt ARTION. Dieses hat zum Ziel, ein Netzwerk für den Wissensaustausch im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) für das Katastrophenmanagement aufzubauen. Es fördert die Entwicklung und Nutzung von KI-Tools, die Ersthelfern bei Katastrophen wie Waldbränden, Überschwemmungen und Erdbeben helfen können. Das Projekt ARTION plant, Algorithmen speziell für diese Katastrophenszenarien zu entwickeln und zu testen. Im Projekt sollen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Expertinenn und Experten wie auch die Praxis zusammengebracjt werden, um den Einsatz von KI im Katastrophenmanagement zu verbessern und die Forschung in diesem Bereich voranzutreiben (siehe hier).

Und nun?

Die Integration von KI und Big Data in den Katastrophenschutz zeigt bereits heute beeindruckende Ergebnisse. Projekte wie SeismicAI, RescueAI, SmartBridge, FireAId, OroraTech und ARTION demonstrieren, wie moderne Technologien dazu beitragen können, die Vorhersagegenauigkeit zu erhöhen, die Reaktionszeiten zu verkürzen und die Effizienz der Intervention zu verbessern. Diese Innovationen haben das Potenzial, das Katastrophenmanagement grundlegend zu verändern und die Sicherheit und Widerstandsfähigkeit der Infrastruktur erheblich zu erhöhen.

Schlagwörter: Katastrophenschutz, Digitale Transformation, Hochwasserresilienz, Flood Rescue with Boats, Krisenmanagement, Disaster Preparedness, Künstliche Intelligenz, Big Data, Erdbebenvorhersage, Digitale Zwillinge, Infrastrukturüberwachung, Klimawandel

Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Katastrophenschutz 4.0: Die Rolle von KI und Big Data [Blog-Beitrag]. 19.08.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar