Google Gemini Datenbrille ist eine weitere Entwicklung auf dem Markt der AR-/VR-Brillen. Im Beitrag Apple Vision Pro – Augmented Reality im Bauwesen habe ich bereits das Thema AR- und VR-Brillen – im Allgemeinen auch Datenbrillen genannt – angesprochen. Neben den Brillen von Microsoft und Apple wird in letzter Zeit wieder vermehrt über eine Datenbrille von Google berichtet. Der eine oder die andere wird sich eventuell daran erinneren, dass das nicht der erste Versuch der Alphabet Tochter ist, um sich im Markt der Datenbrillen zu etablieren.
Google Gemini Datenbrille – Zum Hintergrund
Datenbrillen, auch als Smart Glasses bekannt, sind tragbare Geräte, die erweiterte Realität (AR) und/oder virtuelle Realität (VR) bieten, indem sie digitale Informationen in das Sichtfeld der Nutzenden projizieren. Wie so oft hat die Technologie ihre Wurzeln in militärischen und industriellen Anwendungen und hat sich seit den frühen 2000er Jahren stetig weiterentwickelt. Beispielsweise das Helmdisplay für Piloten des AH-64 Apache Helicopter der U.S. Army (Integrated Helmet And Display Sight System, kurz IHADSS).
Die erste kommerziell erfolgreiche Datenbrille war Google Glass, die 2012 vorgestellt wurde. Google Glass war ursprünglich für Verbraucher gedacht, fand jedoch vor allem in spezialisierten Bereichen wie Medizin und Fertigung Anklang. Das Gerät kombinierte eine Kamera, ein Mikrofon, ein Display und einen Touchpad in einem leichten Rahmen, der die Informationen in das obere rechte Sichtfeld des Nutzers projizierte. Vom Prinzip her eine leichtere und filigranere Version des Pilotenhelmdisplays. Und mit nur 42 Gramm war die Brille auch recht leicht. Nur die Akkulaufzeit von 2 – 3 Stunden war für einen ganzen Arbeitsta alles andere als ausreichend.
Nach dem anfänglichen Hype und der darauffolgenden Kritik an Datenschutz und praktischer Anwendbarkeit zog Google Glass sich 2015 aus dem Verbrauchermarkt zurück, um sich stärker auf Geschäftsanwendungen zu konzentrieren. Die Enterprise Version hatte zwar eine bessere Akkulaufzeit und einen USB-C Anschluss zum schnelleren aufladen, aber das half scheinbar auch nicht wirklich. Seitdem haben andere Unternehmen wie Microsoft mit der HoloLens und Magic Leap eigene AR-Headsets entwickelt, die vor allem in der Industrie und im Bildungswesen Anwendung finden (Microsoft, 2024; Magic Leap, 2024).
In den letzten Jahren hat sich der Fokus auf benutzerfreundlichere und alltagstauglichere Modelle verlagert. Hier kommen Googles neue Gemini-Datenbrillen ins Spiel, welche die Erfahrungen aus früheren Projekten nutzen, um eine breite Palette an Anwendungen zu bieten, einschließlich fortschrittlicher KI-Funktionen. Und gerade die KI-INtegration könnte jetzt ein Game-Changer sein.
Technologische Innovationen
Gemini basiert auf Googles fortschrittlicher KI-Plattform, die in der Lage ist, multimodale Funktionen zu unterstützen. Das bedeutet, dass die Brille Text, Bilder und Sprache in Echtzeit verarbeiten kann. Eine der beeindruckendsten Demonstrationen dieser Technologie fand auf der Google I/O 2024 statt, wo gezeigt wurde, wie die Brille durch Spracherkennung und Echtzeit-Videoverarbeitung komplexe Aufgaben erledigen kann (Engadget, 2024).
Ein besonders bemerkenswertes Feature ist die Integration des KI-Chatbots Gemini, der bereits auf Android 15 Geräten verfügbar ist und bald auch in den Smart Glasses Einzug halten wird. Diese Integration ermöglicht es den Nutzerinnen und Nutzern, kontextbezogene Fragen zu stellen und Antworten direkt in ihrem Sichtfeld zu erhalten (ComputerBase, 2024).
Partnerschaften und Marktstrategie
Google hat sich dazu entschieden, nicht selbst als Hersteller der Brillen aufzutreten, sondern verfolgt ein Modell ähnlich dem Android-OEM-Ansatz. Der Technologiekonzern plant, mit EssilorLuxottica, dem Unternehmen hinter bekannten Marken wie Ray-Ban, zusammenzuarbeiten. Diese Partnerschaft könnte dazu führen, dass wir in naher Zukunft Ray-Ban-Brillen mit integriertem Google Gemini sehen werden (9to5Google, 2024). Im Übrigen: Diese Idee der Partnerschaft hat Meta auch bereits versucht (siehe hier).
[Update 22.10.2024: Die Ray-Ban Meta Brille kann hier bestellt werden.]
Google Gemini Datenbrille – Die Eigenschaften
1. Multimodale KI-Integration
Die Google Gemini Datenbrille integriert fortschrittliche KI-Funktionen, die Text, Bilder und Sprache in Echtzeit verarbeiten können. Diese Fähigkeit ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern, kontextbezogene Fragen zu stellen und Antworten direkt in ihrem Sichtfeld zu erhalten. Diese Art von multimodaler Verarbeitung ist ein fortschrittliches Feature, das bei anderen AR/VR-Brillen noch nicht im gleichen Maße verfügbar ist (ComputerBase, 2024).
2. Partnerschaften und Design
Google plant, die Gemini-Brille in Zusammenarbeit mit EssilorLuxottica, dem Unternehmen hinter Marken wie Ray-Ban, zu entwickeln. Das bedeutet, dass die Brille voraussichtlich in einem modisch ansprechenden Design erhältlich sein wird, welches für den täglichen Gebrauch geeignet ist. Diese Partnerschaft könnte auch die Akzeptanz und Verbreitung der Brille erhöhen, da sie mit bekannten und beliebten Brillenmarken assoziiert wird (9to5Google, 2024).
3. Fokus auf Alltagsanwendungen
Im Vergleich zu Microsoft HoloLens und Magic Leap, die sich stärker auf industrielle und professionelle Anwendungen konzentrieren, scheint die Google Gemini Datenbrille auch auf den alltäglichen Gebrauch abzuzielen. Das könnte sie für eine breitere Zielgruppe attraktiv machen und Anwendungen in verschiedenen Lebensbereichen ermöglichen (Microsoft, 2024; Magic Leap, 2024).
4. Benutzerfreundlichkeit und Komfort
Die Google Gemini Datenbrille wird voraussichtlich leichter und benutzerfreundlicher sein als viele der derzeit verfügbaren AR/VR-Headsets. Das ist ein wichtiger Vorteil, da schwerere Geräte oft unbequem sind und ihre Nutzung über längere Zeiträume erschweren (Engadget, 2024).
5. Erweiterte Kollaborationsmöglichkeiten
Die Integration von Echtzeit-Video- und Audio-Feeds ermöglicht eine nahtlose Kommunikation und Zusammenarbeit. Nutzerinnen und Nutzer können in Echtzeit mit Kollegen und Experten kommunizieren, was besonders in Bereichen wie dem Bauwesen, der Medizin und der Bildung von Vorteil ist. Diese Funktion wird durch die fortschrittliche Spracherkennung und -verarbeitung der Gemini-Brille unterstützt (GoogleWatchBlog, 2024).
Google Gemini Datenbrille im Vergleich zu anderen AR/VR-Brillen
Die Google Gemini Datenbrille unterscheidet sich in mehreren Aspekten von anderen AR/VR-Brillen auf dem Markt, wie z.B. Microsoft HoloLens, Magic Leap und Meta Quest. Im Folgenden einige der wichtigsten Unterschiede.
- Microsoft HoloLens: Konzentriert sich stark auf industrielle und geschäftliche Anwendungen, mit einer robusten Plattform für die Entwicklung von Unternehmenslösungen. Allerdings ist sie schwerer und teurer als viele konkurrierende Produkte.
- Magic Leap: Bietet beeindruckende AR-Funktionen und ist auf kreative und industrielle Anwendungen ausgerichtet. Allerdings hat Magic Leap Schwierigkeiten gehabt, eine breite Nutzerbasis zu erreichen, teilweise aufgrund hoher Kosten und eines nicht vollständig klaren Anwendungsfalls.
- Meta Quest: Die VR-Brille von Meta (ehemals Oculus) ist stark auf immersive VR-Erfahrungen ausgerichtet, mit einem Fokus auf Gaming und soziale Interaktionen in virtuellen Umgebungen. Im Gegensatz zur Gemini-Brille konzentriert sich Meta Quest weniger auf die Integration von AR in den Alltag.
Die Google Gemini Datenbrille kombiniert fortschrittliche KI-Funktionen mit einem benutzerfreundlichen und alltagstauglichen Design, was sie zu einer vielversprechenden Ergänzung des Marktes für AR/VR-Brillen macht. Ihre Fähigkeit, multimodale Informationen in Echtzeit zu verarbeiten, und die Partnerschaft mit EssilorLuxottica könnten ihr zudem helfen, sich von der Konkurrenz abzuheben und eine breite Nutzerbasis zu erreichen, die nicht nur eine Brille für den professionellen Einsatz suchen.
Google Gemini Datenbrille – Anwendungsbeispiele im Bauwesen
Die Potenziale von Smart Glasses im Bauwesen sind vielfältig und vielversprechend (siehe z.B. bei Magic Leap). Hier einige Anwendungsbeispiele:
- Virtuelle Bauüberwachung: Bauleiterinnen und Bauleiter können mithilfe der Gemini-Brille Baustellen aus der Ferne überwachen. Drohnen, ausgestattet mit Kameras, senden Live-Feeds direkt an die Brille, wodurch die Bauleitung den Fortschritt überwachen und sofort eingreifen kann, ohne physisch anwesend sein zu müssen. Das spart Zeit und Reisekosten. Ernsthafte Bauleitung aus dem Home Office wird damit Wirklichkeit 😉 .
- Interaktive Bauplanung: Mit Unterstützung der Gemini Datenbrille können Architektinnen und Architekten wie auch Ingenieurinnen und Ingenieure Baupläne direkt vor Ort bearbeiten. Beispielsweise könnte ein Architekt durch einfache Gesten Änderungen an einem Gebäudeentwurf vornehmen und diese in Echtzeit mit dem gesamten Team vor Ort teilen, mit dem Team wie auch mit Gemini diskutieren und schließlich entscheiden, wie die finale Umsetzung sein soll. Das holografische Modell des Gebäudes kann um 360 Grad betrachtet und angepasst werden. Damit kann die Google Gemini Datenbrille eine wertvolle Ergänzung im Building Information Modeling (BIM) Prozess werden.
- Fehlererkennung und Qualitätskontrolle: Mit Sensorik und Kameras in der Brille können automatisch strukturelle Anomalien und potenzielle Baumängel erkannt werden. Diese Informationen werden sofort an den Träger der Brille weitergegeben, welcher dann entsprechende Maßnahmen einleiten kann. Das erhöht die Sicherheit und Qualität der Bauarbeiten unmittelbar.
- Schulungen und Einarbeitung: Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können durch immersive AR-Schulungen in reale Arbeitssituationen versetzt werden. Die Brille zeigt Schritt-für-Schritt-Anweisungen und simuliert verschiedene (auch problematische) Szenarien, wodurch das Personal schneller und effektiver geschult werden kann. Zudem können erfahrene Fachkräfte ihre Erfahrungen durch Live-Demonstrationen teilen. Durch die Gemini Unterstützung können Entscheidungen zudem in Echtzeit unterstützt werden.
- Kommunikation und Kollaboration: Die Brille ermöglicht Bauarbeiterinnen und Bauarbeitern, in Echtzeit mit Kolleginnen und Kollegen wie auch übergeordneten Stellen zu kommunizieren. Das kann durch Audio- und Video-Feeds geschehen, welche direkt in die Brille integriert sind. Komplexe Probleme können so gemeinsam und schneller gelöst werden, da Expertinnen und Experten sofort konsultiert werden können, egal wo sie sich befinden.
Und nun?
Googles Gemini Datenbrille steht an der Schwelle, die Art und Weise, wie wir mit der digitalen Welt interagieren, zu verändern. Besonders im Bauwesen bieten sich vielfältige Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und auch zur Verbesserung der Arbeitssicherheit. Die erfolgreiche Integration dieser Technologie hängt jedoch sehr von der Akzeptanz durch die Nutzenden und der Unterstützung in den Unternehmen ab (Lesen Sie dazu den Beitrag 7 Wege zur Akzeptanz von digitalen Lösungen). Die kommenden Monate bzw. Jahre werden zeigen, ob Googles Vision von einer eigenen vernetzten und intelligenten Brillenwelt doch noch Realität wird.
Quellenverzeichnis
ComputerBase.(2024). Google I/O 2024: Neue Gemini-1.5-Modelle für den KI-Wettstreit mit OpenAI. online
Engadget (2024). Google I/O 2024: Everything revealed including Gemini AI, Android 15 and more. online
Magic Leap (2024). Magic Leap 2: Next-Generation AR for Enterprise. online
Microsoft (2024). Microsoft HoloLens 2. online
9to5Google (2024). Report: Google wants Gemini smart glasses, looking to partner with Ray-Ban’s EssilorLuxottica. online
GoogleWatchBlog (2024). Gemini: So könnten Googles kommende Smart Glasses aussehen – Video zeigt spektakuläre Live-Demo. online
Schlagwörter: Google Gemini, Google Glass, Künstliche Intelligenz, Augmented Reality, AR, Simulation, Building Information Modeling, Virtual Reality, VR
Diesen Beitrag zitieren: Karl, C. [Christian K. Karl]. (2024). Google Gemini Datenbrille: Google Glass zum Zweiten [Blog-Beitrag]. 01.08.2024. BauVolution, ISSN 2942-9145. online verfügbar